Wer sich länger als ein paar Wochen in dieser Partei oder auf ihren Medien aufhält, begegnet früher oder später unweigerlich Äußerungen der Verbitterung, Enttäuschung oder Verzweiflung - manchmal aus seinem eigenen Mund. Menschen treten aus. Menschen werden beleidigt, demontiert oder sabotiert. Menschen brennen aus und können oder wollen nicht mehr.
Das ist normal.
Wer mit Herzblut bei einer Sache ist, dem wird dieses manchmal vergossen. Für Motivationsprobleme gibt es viele Ursachen, einige davon unvermeidlich. Ich möchte an dieser Stelle versuchen, sinnvollen Umgang mit ihnen aufzuzeigen. Auf dass wir mit uns und unserer Partei glücklicher werden.Warum mach ich den Scheiß überhaupt?
Manchmal stellt man sich diese Frage rein rhetorisch. Dabei ist es durchaus sinnvoll, gelegentlich darüber nachzudenken, und es nötigenfalls schriftlich festzuhalten. Darin liegt auch der Schlüssel dazu, Frustrationsquellen ausfindig zu machen, ihnen aus dem Weg zu gehen oder Möglichkeiten zu finden, mit ihnen umzugehen. Dabei gibt es keine falsche Antwort - politisches Engagement kann aus Idealismus entstehen oder dem Wunsch, die Welt zu verbessern, aber auch aus Zusammengehörigkeitsgefühl oder dem Bedürfnis nach Anerkennung. Vielleicht wollte man Teil einer Bewegung sein und sich vom Geist der Zeit mitreißen lassen, oder man möchte eigene Ziele politisch durchsetzen. Vielleicht träumt man von Ruhm oder Reichtum, vielleicht möchte man sich wichtig fühlen. Alle diese Gründe sind legitim - man sollte zumindest vor sich selbst ehrlich genug sein, sich über den Ursprung seiner Motivation im Klaren zu sein.Dinge, die man so schlucken muss
Es gibt Probleme, die es schon immer gab, immer geben wird und die einem überall begegnen. Manche Dinge muss man tatsächlich hinnehmen, weil man sie nicht ändern kann. So vereinen Parteien zum Beispiel Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Themenschwerpunkten und Persönlichkeiten. Seit die Piraten nicht mehr allein netzpolitisch aufgestellt sind, ist das Programm um viele Punkte und Grundsätze erweitert worden, die ihre eigenen Anhänger anziehen - die dann möglicherweise mit den ursprünglichen Kernthemen nichts mehr am Hut haben. Das liegt aber in der Natur der Sache - eine Partei stellt immer ein Paket an Standpunkten dar, aus dem man sich nicht Einzelheiten herausgreifen kann. Kaum jemand wird einem so umfangreichen Programm in allen Einzelheiten voll zustimmen können. Das heißt aber auch, dass ständig Unzufriedenheit mit einzelnen Punkten herrscht, die von einer Minderheit aufrechtgehalten wird, der der Mehrheitsbeschluss nicht gefällt. Und so ziemlich jeder von uns ist Teil einer solchen Minderheit.Das muss man schlucken. Das geht nicht anders. Denn entweder steht man hinter dem Programm, oder aber nicht - zwar können sich Mehrheiten verändern und Beschlüsse neu gefasst werden, praktisch gibt es aber eher selten tatsächliche Richtungswechsel, und auch dann meist in Form schleichender Veränderungen. Die Frage, die man sich hier stellen muss, ist: kann ich die Ziele dieser Partei im Großen und Ganzen vertreten?
Man kann die Partei nicht wechseln
Also, man kann schon. Aber eine andere Partei bedeutet andere Ziele, andere Schwerpunkte, andere Menschen und auch andere Strukturen. Parteien sind nicht wie Sportvereine, von denen man, so eine Auswahl vorhanden ist, sich den suchen kann, in dem man sich am ehesten wohl fühlt. Mit einem bestimmten politischen Profil kann man die Wahl der eigenen Partei nicht von anderen Dingen abhängig machen, wie der Freundlichkeit der Kollegen oder den eigenen Aufstiegschancen. Da eine Partei als Zusammenschluss von Menschen mit ähnlichen politischen Zielen definiert ist, haben diese Ziele hier Priorität. Für wen eine andere Partei eine echte Alternative darstellt, der muss sich im Klaren darüber sein, warum er sich für die Piraten entschieden hat - und diese Entscheidung bei Bedarf überdenken. Gibt man den Piraten ein überzeugtes Ja, muss man zu diesem Ja auch stehen können - trotz allem Frust (es ist ja auch nicht gesagt, dass es woanders besser wäre). Für die meisten Leute dürfte sich aber weniger die Frage danach stellen, welcher Partei sie angehören wollen, sondern eher, ob überhaupt. Und dazu ist ein Abwägen erforderlich - sind die Gründe, die dafür sprechen, überwiegend? Wenn ja, was mache ich mit den Gründen dagegen?Was machen diese Idioten hier?
Wie bereits angedeutet, ziehen Parteien die unterschiedlichsten Leute an, solange sie nur gewisse Interessenüberschneidungen haben. Man kann sich all diese anderen Menschen nicht aussuchen. Man kann nur mit ihnen umgehen. Die Piraten haben noch ein weiteres Problem: sie sind eine junge Partei, die abseits ihres Kernthemenkomplexes lange kein starkes Profil hatte, zumindest nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Das zieht eine Reihe Leute an, die ansonsten sehr unterschiedliche Vorstellungen haben und mit denen man daher unter Umständen so gut wie nichts gemeinsam hat. In aufstrebende Kleinparteien treten weiterhin Querulanten ein, die bereits anderswo rausgeflogen sind, Opportunisten, die Strukturschwäche ausnutzen, um ein Pöstchen abzugreifen, und selbsternannte Freidenker, die abstruse Ideen salonfähig machen wollen und ihre Chance gekommen sehen. Und das Lustigste daran: es ist oft nicht sofort ersichtlich, ob ein Mitglied zu einer dieser Gruppen gehört, und jeder kann für andere wie einer dieser Typen wirken. Genug Futter also, um Fehden und Kleinkriege über Jahre aufrechtzuerhalten. Wichtig: kritisieren lässt sich nur Verhalten, nicht vermutete Absichten. Letzten Endes spielt es nämlich keine Rolle, was jemand in dieser Partei will - ausschlaggebend ist allein, was er tut, um es zu erreichen.Die anderen sind das Problem
Ganz oft äußert sich Frust in der Form: "Alles wäre gut, wenn nicht $Person(en) wäre(n)!". Verschiedene Leute sagen das über verschiedene andere. Wer genügend aktiv ist, wird das früher oder später auch über sich selbst hören. Willst du etwas bewegen, musst du dich mit anderen auseinandersetzen. Das ist der Kern politischer Arbeit - Standpunkte zu vertreten, auch und sogar vor allem gegenüber Leuten, die sie nicht teilen. Es gehört zum politischen Alltag, Meinungsverschiedenheiten zu haben, und zu Meinungsverschiedenheiten gehört auch immer, dass man "etwas aufgedrückt" bekommen soll oder "blockiert wird", je nachdem, auf welcher Seite man gerade steht. Konsens ist nun einmal ein seltenes Phänomen, und das heißt, dass man immer und ständig mit Menschen zu tun hat, die etwas verhindern wollen, das man möchte, oder etwas anstreben, das man verhindern will. Damit daraus keine kollektive gegenseitige Zerfleischung wird, braucht es eine sachliche und rücksichtsvolle Diskussionskultur. Dass wir diese nicht haben, ist hinreichend bekannt.Hör auf, mich zu deprimieren!
Entschuldigung.Es gibt natürlich Dinge, die man tun kann, um sich nicht deprimieren zu lassen und trotzdem etwas zu erreichen.
Klappe halten, weitermachen!
Seinen Frust pur in Form von "das macht alles keinen Spaß mehr" herauszulassen tut nur sehr kurzfristig gut. Jammern hilft nicht - maximal bekommt man Zuspruch von denjenigen, die man sowieso auf seiner Seite weiß, und den kann man sich auch abholen, ohne öffentlich schlechte Stimmung zu verbreiten. Öffentlich ist hier das Stichwort: jeder muss hin und wieder Dampf ablassen, und Sorgen in sich hineinzufressen staut sie nur auf. Also geh und beschwere dich - unter Freunden bei einem Bier. Zuhause beim Abendbrot. Gegenüber der Katze. Bei jedem nicht lösungsorientierten Wehklagen sollte man aber unbedingt auch die Stimmung des Gegenübers im Auge behalten - wer von Frust verschont ist und mit Eifer bei der Sache ist, den kann es sehr schnell lähmen, wieder und wieder zu hören, wie schlecht eigentlich alles sei. Wer gerade wieder neuen Mut geschöpft hat, der fällt leicht wieder in sich zusammen, wenn ihm eine finstere Zukunft prophezeiht wird. Und wer seinen Partner über lange Zeit an Partei oder Parteikollegen verzweifeln sieht, möchte irgendwann mit der Faust auf den Tisch hauen und sagen:Dann hör den Idioten doch einfach nicht zu!
Tatsächlich steht nirgendwo geschrieben, dass man sich dem Diskurs stellen muss. Oder die Mailingliste lesen. Oder Menschen auf Twitter folgen, deren Äußerungen einen regelmäßig in Rage bringen. Selbst wenn man sich inhaltlich einbringt und dafür Rede und Antwort stehen möchte, kann man das genauso über private Nachrichten oder eine umfassende Antragsbegründung tun. Niemand zwingt dich, dir alles anzuhören, was in der Partei gesprochen wird, und niemand zwingt dich, immer zu antworten, wenn im Internet jemand unrecht hat. Um etwas zu bewegen, brauchst du auch weder einen Stammtisch, noch eine AG, noch ein Parteimedium. Du brauchst nur eine gute Idee. Was dich persönlich belastet und keinen sichtbaren Nutzen hat: lass es weg! Du musst das nicht tun.Es macht doch aber sonst keiner!
Sei ehrlich: muss es wirklich unbedingt getan werden? Bist du sicher, dass absolut niemand anders das tun würde oder könnte? Ja? Das heißt noch lange nicht, dass du dafür zuständig bist. Du bist niemandem etwas schuldig. Nicht der Partei, nicht den Menschen in ihr, auch nicht dem Bürger, für den du das alles vielleicht tust oder glaubst, zu tun. Konzentriere dich auf die Dinge, die dir Spaß machen, auf die du stolz bist und für die du keine Gegenleistung erwartest. Wenn du etwas, um das du nicht gebeten wurdest, für Dankbarkeit tust, die dann nicht kommt, machst du dich nur unglücklich. Was du tust, ist aber gut und wichtig? Das sieht nur keiner? Dann hat es auch keiner verdient!Schaffe dir Erfolgserlebnisse!
Dein letzter Antrag wurde in der Luft zerrissen von Leuten, die keine Ahnung haben und ihn vermutlich nicht einmal gelesen haben? Immer, wenn du dich einbringst, wirst du angepöbelt? Du hast für irgendetwas kandidiert und wurdest nicht gewählt? Dann mach erst einmal etwas, was du unbestritten kannst, oder für das du in jedem Fall Dankbarkeit bekommst. Such dir eine Aufgabe, die schon lange mal gemacht werden musste, aber auf die niemand Lust hat. Arbeite Leuten zu, die sich darüber freuen oder darum bitten. Stelle einen Antrag, von dem du weißt, dass er mehrheitsfähig ist. Oder kümmere dich um Sachen, die dich tatsächlich interessieren, die du bisher immer hinten angestellt hast, oder von denen andere dir sagen, sie seien unwichtig. Blocke diese Leute auf Twitter, sperre ihre Nummer in deinem Handy, markiere ihre Emails als Spam und mache es dann trotzdem. Du darfst das. Du darfst deine Energie verwenden, wofür auch immer du möchtest - und was du nicht möchtest, musst du auch nicht tun.(Das trifft natürlich nicht ganz auf Beauftragte, Vorstände oder Kandidaten zu. Es tut mir leid, aber ihr habt euch das ausgesucht.)
Dann geh eben dort drüben spielen.
Die Partei ist groß. Es gibt nicht nur deinen Stammtisch. Es gibt nicht nur deine AG, die Leute, mit denen du zusammenarbeitest und die Leute, die du auf Parteitagen triffst. Die Partei ist so groß, dass niemand überall gleichzeitig sein kann, und das bedeutet gleich mehrere Dinge. Die anderen, die an allem schuld sind, sind nicht überall. Es gibt Nischen in dieser Partei, die du nicht kennst, aktive, kluge, großartige Mitglieder, deren Arbeit du noch nie wahrgenommen hast. Es gibt einen Platz für dich, an dem du es besser hast. Und wenn du wieder Motivation übrig hast, kehrst du gestärkt und frisch ausgeruht zurück. Oder nicht. Je nachdem, wie du "Warum mach ich den Scheiß überhaupt" beantwortet hast.Findest du kein anderes Betätigungsfeld oder hast du das Gefühl, dass du nur an diesen Platz gehörst, an dem du dich so unwohl fühlst, dass du das hier immer noch liest, dann hilft manchmal nur noch eins:
Nimm Abstand!
Kenne deine Grenzen. Nimm dir mehr Zeit für dich, deine Familie, deine Freunde außerhalb der Partei. Mach mal wieder etwas anderes. Schau über den Tellerrand: was von innen aussieht wie der Untergang des Abendlandes, fällt vielleicht außerhalb kaum ins Gewicht. Die Dinge, die in Griff zu bekommen dich so viel Zeit und Kraft kostet, sind möglicherweise nur lokal, temporär oder auf dein Umfeld beschränkte Probleme. Manch eines löst sich auch von ganz allein - oder hat von Anfang an keiner Lösung bedurft. Wenn du dich oft mit anderen Mitgliedern streitest, weil ihre Ansichten oder Behauptungen so inakzeptabel sind, dass du sie nicht stehenlassen kannst - ist es wirklich schlimmer, jemanden im Unrecht sein zu lassen, als immer weiter zu eskalieren? Und denkt der andere nicht das Gleiche über dich?Bessere dich!
Natürlich liegt die Schuld nicht bei dir - das tut sie nie. Aber Einfluss hast du nur auf dich selbst. Du allein kannst die Partei und ihre Strukturen nicht ändern, und anderen nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Aber du kannst dich selbst ändern, damit du es leichter hast. Tu das.Dazu gehört auch, sich selbst einmal gründlich zu hinterfragen. Sind deine Ziele so, wie du sie verstehst, wirklich der Inbegriff der Piratigkeit, wie sie schon immer gedacht war? Bist du wirklich geeignet für die Dinge, die du tust? Machst du die Aufgaben, die du übernimmst, tatsächlich gut? Könnten die Kritiker vielleicht Recht haben?
Dieser Punkt fällt ein wenig unter das Prinzip "Es muss erst schlechter werden, bevor es besser werden kann." - das ist eine unangenehme Angelegenheit, die sehr wehtun kann und zunächst wenig Motivation produziert. Auf lange Sicht zahlt es sich jedoch aus, Selbst- und Fremdbild stärker in Einklang miteinander zu bringen und sich nicht zu überschätzen. Denn Ärger, Kritik und Anfeindungen bekommt jeder, der etwas tut. Das musst du aushalten können. Das ist viel leichter, wenn an dieser Kritik nichts dran ist. Sorg dafür, dass du dich nur für die Fehler entschuldigst, die du tatsächlich hast - aber geh sicher, dass du weißt, welche das sind.
Warte ab.
Wir sind immer noch Amateure, zumindest die meisten von uns. Wir wollen alle gleich immer in alles selbst einbezogen werden, und wir wollen unsere Erfahrungen selbst machen. Was uns zu professionell vorkommt, nennen wir Politik 1.0 oder nicht authentisch genug. Mit dem Überraschungsergebnis Berlins und der folgenden Erfolgswelle sind viele Menschen auf einen Schlag eingetreten - das hat unsere Mitgliederstruktur komplett umgekrempelt. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es so einen Umsturz noch einmal geben wird. Auch wachsen die Neumitglieder von damals in die Partei hinein, machen ihre Erfahrungen, lernen dazu. Die Professionalisierung, die wir so dringend brauchen, passiert also schleichend von ganz allein. Dazu kommt, dass uns ein Wahlkampf bevorsteht. Das schweißt zusammen. Für einen gemeinsamen Zweck besinnen wir uns wieder mehr auf unsere Gemeinsamkeiten statt unsere Unterschiede, und lernen, zusammenzuarbeiten, weil wir es müssen. Niemand möchte Schuld an einem schlechten Wahlergebnis sein. Probleme, die unterschwellig schwelen, werden im Wahlkampf auf den Tisch kommen und abgehandelt werden, damit es weitergehen kann - einfach, weil es dann nötig ist. Das löst nicht alles - aber mit Sicherheit einiges.Das hilft mir alles nicht weiter.
Überraschung: es gibt Probleme, die sich mit Motivation nicht beheben lassen. Solche Probleme brauchen Lösungen. Finde sie. Such dir Hilfe. Suche nicht in einem Blogpost mit vage aufmunterndem Titel und albernen Zwischenüberschriften.Eine Partei ist kein Kindergarten, und man muss sich nicht alles gefallen lassen. Manche Beschlüsse sind objektiv schlecht. Gelegentlich wird sich nicht an Prozesse oder Satzung gehalten, manchmal dem Programm grundsätzlich entgegengesetzte Meinungen proklamiert. Ja, manchmal muss man etwas tun. In dem Fall ist dein Problem aber nicht die fehlende Motivation (und fällt damit nicht mehr in die Zuständigkeit dieses Textes).
Zum Zeitpunkt der Entstehung war ich dem wenig positiv gegenüber eingestellt, aber: Austreten geht auch. Wenn es einem schwerfällt, sich zurückzuziehen, weniger zu machen oder anderes zu machen: sich komplett und formell loszusagen, kann auch ein Befreiungsschlag sein.