Das Klaus

Gesammelte Werke

10.02.2014

Amt

Oh Amt! In deinen Wartesälen
hört man schwere Mühlen mahlen,
spürt, wie in das Mahlwerk quälen
sich der Arbeitslosen Scharen.

Hier wird Enttäuschung produziert!
Hier kommen arme Hoffnungsvolle,
geraten in die Mühlensteine
und werden mit granitner Rolle
zunächst entblößt, und dann auf kleine
Häuflein Elend reduziert.

Oh Amt! Nun musst du Unkraut jäten.
Arbeit wächst ja nicht auf Bäumen -
nur in feinen grauen Beeten
aus gemahlnen
Träumen
10.02.2014

Arbeit und ich - eine Trennungsgeschichte

Arbeit und ich haben eine sehr schwierige Geschichte. Ihr kennt dieses Paar, dass sich einmal im Jahr trennt, einander die Besitztümer des anderen an die Schädel wirft, sich dann wieder verträgt, eine viel zu kurze gute Zeit miteinander verbringt und sich dann monatelang hasst, nur um sich auf die gleiche Weise wieder zu trennen und zu vertragen? Das sind Arbeit und ich.

Wie die meisten dieser Paare kennen wir uns schon lange und hatten sowohl Phasen, in denen wir längere Zeit nicht zusammen waren und welche, in denen wir uns fast wie in einer gesunden Beziehung zueinander verhalten haben. Und wir sind mit unrealistischen oder ungenauen Vorstellungen voneinander großgeworden, mit daraus erwachsenden Ansprüchen, die keiner von uns erfüllen kann. Dass wir uns nicht glücklich machen, ist quasi vorprogrammiert.

Als ich kleiner war, war Arbeit das, was man tut. Irgendwas tut ja jeder und das, was ein Erwachsener die meiste Zeit tut, ist dann sein Beruf. Weil ich gerne Dinge tue, wollte ich auch irgendwann einen davon haben, auch wenn die Wahl mir doch sehr schwierig schien, da sie alle eine Festlegung auf eine einzige Beschäftigung erfordern. Buchbinder, Astronaut, Mechatroniker und Tischler haben gemeinsam, dass man nicht alles davon werden kann, jedenfalls nicht auf einmal.
Berufe sind außerdem besser als Schule: man sucht sich einen aus, den man mag, und muss alle die, die man nicht mag, gar nicht machen. Wenn es einem nicht gefällt, kann man gehen und sich einen anderen suchen. Und dann kann man sich auch noch zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen entscheiden, so dass man sich auch noch aussuchen kann, in welchem Umfeld, mit welchen Leuten und zu welchen Bedingungen man arbeitet. Klar ist das nicht ganz so einfach - damit man eine Wahl hat, muss man gut sein. Man muss viel können oder viel wissen, am besten beides, damit man Auswahl hat.
Eigentlich hat sich an dieser Vorstellung nichts geändert. Ich möchte immer noch alles auf einmal machen, und kann mir nicht vorstellen, immer nur eine Sache zu machen. Ich finde es immer noch wichtig und erstrebenswert, viel zu können und viel zu wissen. Und möchte mir aussuchen, mit welchen Leuten und zu welchen Bedingungen ich arbeite.

Arbeit ist auch mit bestimmten Ideen großgeworden. Arbeit erinnert sich an die Industrialisierung, Fabriken, Schichtarbeit, und daran, dass für alle die gleichen Regeln gelten, und diese Regeln einerseits eine Notwendigkeit sind und andererseits Zeichen von Respekt. Wer pünktlich, sauber und fleißig ist, darf bleiben.
Arbeit hat auch gelernt, später, dass in dieser Beziehung einer die Macht hat, nämlich sie, und der andere vom Gesetz Rechte zugestanden bekommt, die sie leider nicht verletzen darf. Arbeit darf sich nicht nach Belieben von Leuten trennen. Arbeit darf Leute nur bestimmte Zeit und zu bestimmten Bedingungen in Anspruch nehmen. Arbeit hat eine Menge Vorschriften, an die sie sich halten muss.
Das ärgert Arbeit. Arbeit will, dass ihre Partner verlässlich sind, kontrollierbar und effektiv. Arbeit legt Wert auf Respekt und Anstand, auf saubere Schuhe, Pünktlichkeit und Planbarkeit.
Arbeit weiß nicht, dass es eigentlich darum geht, dass sie erledigt wird. Arbeit kann das nicht messen. Arbeit misst andere Dinge.

Auf all diesen anderen Dingen versage ich auf voller Linie. Die "deutschen Tugenden" sind mir fremd. Ordnung und Sauberkeit bekomme ich noch hin, wo es nötig ist, in dem Maße, in dem es nötig ist, bei Pünktlichkeit hört es dann aber auf. Kann ich nicht. Geht nicht. Konnte ich noch nie. Und von Zuverlässigkeit haben Arbeit und ich ganz, ganz verschiedene Vorstellungen.
Ich übernehme gern für das Verantwortung, was ich tue. Mir liegt persönlich etwas an der Qualität der Dinge, an denen ich arbeite, und an der Erledigung der mir zugetragenen Aufgaben. Und wenn nachts um drei etwas daran kaputtgeht, komme ich nachts um drei und mache es wieder heile. Ich komme aber nicht morgens um sieben, wenn morgens um sieben nichts zu tun ist, was nicht auch mittags um elf getan werden könnte.

Und so streiten Arbeit und ich uns, immer wieder. Die meisten Regeln, die Arbeit aufstellt, sehe ich nicht ein. Ich arbeite, ich werde bezahlt - über alles andere wird gestritten. Arbeit behauptet, ich hätte ein Problem mit Autorität, ich sehe das anders. Hierarchien sind überall da nötig, wo Arbeit koordiniert werden muss, wo einer Aufgaben verteilt - in jedem Angestelltenverhältnis also. Ich akzeptiere die Entscheidungsmacht von Autorität, schon allein der Effektivität wegen, in dem Bereich, für den sie gilt. Also: ich lasse mir gerne vorschreiben, was ich tun soll. Ich lasse mir (manchmal widerstrebend) vorschreiben, wie ich es tun soll. In allem anderen behandle ich Arbeit wie einen gleichberechtigten Partner. Arbeit mag das nicht. Arbeit sieht das anders.

Dabei will ich Arbeit glücklich machen. Ich will stolz sagen "Alles fertig!" und hoffe auf ein "Gut gemacht!". Ich will es gut machen. Ich will es Arbeit so gut machen, dass sie mich nie vergisst, dass ich ihr neuer Maßstab werde, dass ich wertvoll, nützlich bin.
Arbeit und ich, wir hassen uns.
Ich sage "Alles fertig!" und Arbeit sagt "Du kommst zu spät, und deine Schuhe sind schmutzig." Und ich bin enttäuscht, und traurig, und wütend und beleidigt und verwirrt, denn was haben meine Schuhe damit zu tun? Und wie kann ich zu spät sein, wenn ich erledigt habe, was ich erledigen sollte?
Arbeit und ich, wir verstehen uns nicht.

Ich trenne mich. Mal wieder. Sicher nicht für immer. Aber ich weiß wieder ein Stückchen besser, was ich kann und was nicht. Meine Vorstellung von Arbeit deckt sich deutlich mehr mit der Tätigkeit eines freien Mitarbeiters als der eines Angestellten. Ich kann mit gesellschaftlichen Normen nicht umgehen, habe viele spezifische Wünsche und Einschränkungen. Ich bin oft krank, habe chronische Schlafstörungen, lebe immer ein wenig um meine Eigenheiten herum. Arbeit mag Eigenheiten nicht. Und ich kann das verstehen - all die Regeln, die einzuhalten mir schwerfällt, haben ihren Sinn und Nutzen. Ich kann keine Extrawürste erwarten, oder auch nur Verständnis. Für Arbeit bin ich eine ebensoschlechte Partie wie sie für mich.
In den letzten Monaten haben sich alle meine Wünsche, Hoffnungen, Hobbies und Aktivitäten reduziert auf Schlaf. Wenn ich nicht schlafe, versuche ich, meinen Schlaf vorzubereiten: zur richtigen Zeit das Licht zu dämmen, mit dem Hund rauszugehen, das richtige Maß an Aktivität und nachlassender Aktivität zu finden, um früh genug einzuschlafen. Es reicht einfach nicht. Ich gebe auf. Ich möchte mehr sein als jemand, der Arbeit hasst und nur an Schlaf denkt.

Was mache ich stattdessen? Hm, ich habe da diese Firma, deren Webseite ich mal fertigstellen sollte. Und ich verkaufe da dieses Kartenspiel. Ich kann ein paar Dinge. Ich weiß ein paar Dinge. Neben klassischer Arbeit gibt es noch eine Menge Nischen, die man sich suchen oder schaffen kann. Vielleicht gibt es ja Leute, die mit Menschen etwas anfangen können, die Aufgaben erledigen können und, hm, das Drumrum nicht. Ich mag es sehr, Dinge zu tun. Ich werde nicht aufhören, Dinge zu tun. Vielleicht blogge ich ja auch endlich mal wieder. Check.
08.02.2014

Warum ich mir wünsche, dass Gender irrelevant wird

Das Schöne am Internet ist, dass der folgende Satz für manchen Leser möglicherweise überraschend kommt: ich habe zwei X-Chromosomen.

Das Konzept "Frau", das soziale Konstrukt, passt nicht zu mir. Es steht mir einfach nicht. Es hängt formlos an mir herab, kneift an anderen Stellen, fühlt sich hässlich und unangemessen an. Ich möchte es nicht tragen, nicht als Identität und nicht als Label. Das soll nicht heißen, dass es schlecht ist - es ist nur nicht meins.

Nun bin ich mit zwei X-Chromosomen geboren, und daran lässt sich nichts drehen. Ich bin weiblich sozialisiert: wir lernen durch Feedback, und Menschen haben mein Leben lang auf mich als Frau reagiert - als würde ich dieses Kostüm freiwillig tragen, als hätte ich es mir ausgesucht, würde ein Statement damit abgeben. Ich kann das nicht abschalten oder ungeschehen machen. Ich kann nicht einfach die Seite wechseln und so tun, als sei das nie passiert. Ich gäbe sicher auch keinen allzu guten Mann ab, weil mir darin die Übung fehlt.

Der Name Klaus hat mir an dieser Stelle sehr geholfen. Er distanziert mich von der physischen "Frau"-Verkleidung, sorgt dafür, dass Menschen mich in einen anderen Kontext setzen. Da ich nicht überzeugend als Mann auftreten kann, befördert mich der Name allein nicht auf die andere Seite - aber das muss er auch nicht. Er genügt, um mich auf diesem Spektrum an einen gemütlicheren Ort zu setzen. Ich disqualifiziere mich als Vertreter eines bestimmten Geschlechts, und statt mich sofort klassifizieren zu können, bleibt für andere eine Lücke dort, wo sie sonst das Geschlecht markieren. Das kann zunächst verunsichernd und unangenehm sein. Das Gefühl, dass dort etwas stehen müsste und es eine binäre Antwort braucht, betrifft viele Menschen, auch die, die offen und wohlmeinend sind. Das ist okay. Es ist auch okay, wenn es eine Weile dauert, bis man sich an die Lücke gewöhnt hat. Ich finde es auch nicht problematisch, wenn Menschen dort etwas eintragen, das ich nicht so angeben würde - Menschen dürfen von mir denken, was sie wollen, und sie dürfen mich auch als zu einer Gruppe zugehörig empfinden, der ich mich nicht selbst zuordne. Ich bin unempfindlich, was Pronomen angeht - er, sie, es, egal. Wenn man bedenkt, dass jede Katze zunächst eine "sie" ist und jeder Teppich ein Mann, ist das pure Grammatik und hat mit Geschlecht weder im biologischen noch sozialen Sinn zwangsläufig etwas zu tun. Aber dort, wo meine Gesichtsform, Stimme und Figur "Frau" sagen, wirft der Name Klaus diese Schlussfolgerung aus der Bahn. Er zwingt andere, einen Schritt zurückzugehen, neu zu denken, im Idealfall: die Zuordnung ersatzlos zu streichen. Es ist doch auch egal.

Klaus begleitet mich seit der neunten Klasse, ich fühle mich darunter angesprochen. Werde ich Klaus genannt, bin ich gemeint. Mein Geburtsname ist wie ein unangenehmer Spitzname, unter dem ich innerlich immer ein wenig zusammenzucke, aber es nicht wage, es Leuten übelzunehmen, ihn zu verwenden. Im beruflichen Umfeld ist das schwierig, umso konsequenter bin ich im Privaten - meinen bürgerlichen Namen rücke ich, sofern es vermeidbar ist, gar nicht erst heraus. Ich möchte Leuten nicht Gelegenheit zu geben, ihn mir der Bequemlichkeit halber anzuheften, um ein Umdenken, ein Innehalten zu umgehen.

Meine ideale Welt sieht vor, dass Geschlecht im Sinne von Gender keine Rolle spielt, gar nicht existiert. Das biologische Geschlecht ist eigentlich nur relevant für Fragen der Fortpflanzung und ob man Tampons kaufen muss. Und es kann bei der Partnerwahl eine Rolle spielen: viele Menschen haben Vorlieben, was die Beschaffenheit der Geschlechtsorgane ihrer Partner angeht, fühlen sich oft nur zu einer bestimmten Konfiguration hingezogen, erwarten Konsistenz in Pheromonen, Körperbau und Genitalien. Und sonst?

Geschlecht im Gendersinne jedenfalls hat meiner Ansicht nach keinen erkennbaren Nutzen und auch keine tatsächliche Bedeutung - dazu sind die Überschneidungen derer, die das eine oder andere Label verwenden in den Merkmalen, für sie sie es verwenden, einfach zu groß. Wenn die Frage nach den Unterschieden zwischen Männern und Frauen gestellt und ein messbarer statistischer Unterschied als natürlich dargestellt wird, dann bleibt immer offen, woher die Kontrollgruppe kommt, anhand derer man das beurteilen könne. Welchen Einfluss die Jahrtausende Sozialisierung und Prägung, die Stereotype und geschlechtsabhängige Erziehung haben, lässt sich erst dann zweifelsfrei zeigen, wenn man eine in jeder anderen Hinsicht gleiche Kultur findet, die solche Unterschiede nicht kennt.

Derlei Utopien sind allerdings nutzlos. Für die meisten Menschen ist das Geschlecht ein integraler Bestandteil der Identität und eins der ersten Merkmale, anhand derer schon Kinder einander sortieren und voneinander abgrenzen. Ich halte es für möglich, dass es der frühesten Identitätsbestandteil überhaupt ist. Wir werden uns immer definieren über Merkmale, die wir schnell und in der Regel eindeutig identifizieren können. Es wird immer eine Antwort erwartet auf die Frage "Junge oder Mädchen", und es wird auch immer jemanden geben, der die Frage stellt. Und solange werde ich leise seufzen, hoffen, dass das Drama ausbleibt, und antworten: "Nein".


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