Immer wenn bei uns eine Katze stirbt, haben wir bald darauf eine neue. Das hat nichts mit Reinkarnation zu tun, sondern mit Gewohnheit: wir haben immer drei. Immer. Solange es drei sind, fällt es nicht so auf, wenn eine fehlt. Manchmal kommt die Neue aus der Nachbarschaft, manchmal über eine Zeitungsannonce. Diesmal kommt sie aus dem Tierheim.
Man sollte meinen, das sei eine gute Sache, doch ich fühle mich zurückversetzt in Zeiten, in denen ich dem Greuel persönlich gegenüberstand. Ich werde diese Katze nicht so lieben können wie ihre Vorgängerin. Zu deutlich sehe ich alles noch vor mir.
Ich habe mal im Tierheim gearbeitet. Ehrenamtlich. Eher aus Langeweile als aus Gutherzigkeit, aber das muss ja keiner wissen. Ich war daher auch nicht enttäuscht, dass zum Streicheln süßer Tierbabies eher wenig Zeit bleibt, sofern überhaupt süße Tierbabies vorhanden sind. Die meisten Tiere sind alt, kränklich und 'brauchen einen Besitzer mit Hunde/Katzenerfahrung'. Das ist Tierheimsprache für bissig, eigensinnig, nicht oder schlecht erzogen, unsauber und laut. Als Katzenbesitzer mit Katzenerfahrung begann der Tag für mich in der Katzenquarantäne, wo die Neuzugänge sich aufhalten. Acht Käfige, jeder mit zwei Türen und einer Trennwand in der Mitte zum Abschiebern, das heißt: Wand hineinschieben, auf der Seite ohne Katze saubermachen, Wand raus, Katze auf die andere Seite locken, andere Seite säubern. So jedenfalls die Theorie, tatsächlich ist die Quarantäne notorisch überfüllt und die Trennwände bleiben dauerhaft an ihrem Platz: eine Katze links, eine rechts. Jungtiere teilen sich eine Seite zu zweit. Eine Box besteht aus nüchternem Stahl, bietet etwa einen halben Quadratmeter Platz und ist eingerichtet mit einer kleinen Toilette, einem Futter- und Wassernapf sowie einem kleinen Stück Teppich, der auf den ausgelegten Zeitungen liegt. Zum Ausstrecken ist nur dann Platz, wenn der Kopf im Napf liegt und man sich elegant um das Klo herumrollt. Einige Tiere benutzen die Toilette als Körbchen und sehen dementsprechend aus. Stress führt auch bei Tieren gelegentlich zu einer nervösen Verdauung, wer hier putzt, sollte sich schnell an Kacke, Kotze und Pisse gewöhnen, und die landet nicht immer da, wo sie hinsoll. Für alle sechzehn Tiere bleibt mit anschließendem Fegen und Wischen des Raumes nur eine Stunde, und wehe, wer länger braucht: der Letzte macht den Abwasch. Das ist zu Hause auch so und führt zu hektischem Essen, doch während ich schrubbe, sind andere im Krankenstall, bei den Kleintieren oder Hunden zugange, und es sind nicht nur Futternäpfe, die in den Abwasch gelangen. Die Eimer, in denen Katzenstreu, verschmähtes Futter und Ausscheidungen gesammelt werden, sehen nach dem Entleeren kaum besser aus als vorher, und jede zehnte Katzentoilette wandert ebenso ins Wasser, weil bestimmte Dinge daran kleben. Einer meiner Schützlinge hat Durchfall, den ich als Durchflug bezeichnen möchte: es entbehrt jeder physikalischen wie physiologischen Grundlage, dass dieses Tier in der Lage ist, gegen die Decke zu kacken. Ich schrubbe zehn Minuten länger und schleiche anschließend schuldbewusst dem Wasserbecken entgegen. Die Spüle ist so groß wie eine Badewanne, etwa fünfzig Näpfe schwimmen darin, etwa zu gleichen Teilen von Hunden und Katzen. Auch sie werden nur bei Bedarf gereinigt, aber auch sie werden gelegentlich mit dem Klo verwechselt. Hinter mir stapeln sich die Katzenklos, zwei Transportkörbe (in den zehn Minuten, in denen man ihren Käfig reinigt, wollen sich manche auch dort noch verewigen) und die Eimer des Grauens.
Im Nachhinein kann ich bestätigen, dass alles, was einen nicht umbringt, stärker macht. Vor drei Wochen im Topf vergessene Bohnensuppe entsorge ich ohne Brechreiz, und unsere Menschentoilette zu säubern ist auch nicht schlimmer als ein normaler Menschenabwasch. Auch kann ich dem Kater seine Medikamente verabreichen, ohne mich zu verletzen, wenn er sich mal wieder eine Erkältung bei seinen Streifzügen im Hof eingefangen hat. Polly, unserer jüngst verstorbenen, legte ich den Tropf. Was ist schon eine Spritze, wenn man Bisswunden und Geschwüre versorgt hat?
Für die Neue würde ich jederzeit das Gleiche tun, obwohl auch sie mit Sicherheit diverse Ehrenamtliche mit ihren Körperflüssigkeiten in den Wahnsinn getrieben hat. Aber wir werden sie Greta nennen. Strafe muss sein.