Das Klaus

Gesammelte Werke

04.05.2012

Wir gehen jetzt miteinander

Aufgefallen sind sie mir schon 2009. Oh, diese schönen Augen, Plakate meine ich, die machen sich schon schick. Rebellisch, engagiert, noch neu genug, um geheimnisvoll zu sein, trotz aller Transparenz und Offenheit. Ein Hauch von Abenteuer, Revolution, alles anders machen, nur nicht so sein wie die anderen. Eine neue Pubertät winkt am politischen Horizont. Nach kurzem Liebäugeln aus der Ferne folgten ein paar One-Night-Stands an der Wahlurne; nichts Festes, keine Nummern austauschen, leidenschaftslos und zweckgebunden - 'Besser als nichts' und 'Hoffentlich bereu' ich das nicht, wenn ich wieder nüchtern bin', eben so, wie man mit rebellischen Fremden umgeht.

Aber dann habe ich über den letzten Bundesparteitag gelesen. So viele kluge Sachen haben sie beschlossen, so viele Dinge, die ich auch schon so lange sagen wollte. Es ist, als fände man in einem Country-Club noch jemanden, der auf Post-Industrial-Indie-Punk steht, der ungestüme Weltverbesserer entpuppt sich als erfahrener Planer und der Schönling in der Lederjacke kann lesen. Ich war hin und weg. Bis ich den ersten Schritt machte, dauerte es eine Weile, schließlich bin ich schüchtern und noch unerfahren. Aber ein paar Monate und einen Mitgliedsantrag später habe ich ein Date.

Auf dem ersten Stammtisch bin ich zurückhaltend und nervös, höre zu und beobachte, aber sie reden vor allem über Organisatorisches, Kleinigkeiten: Dinge, in die ich nicht eingebunden bin. Es geht nicht um das große Ganze und ich habe nicht das Gefühl, sie besser kennengelernt zu haben. Immerhin, gut sehen sie aus, unwohl fühle ich mich bei ihnen nicht, und ein paar nette, kurze Gespräche finden auch schon statt. Unverhofft daher die so kurzfristige Einladung zum nächsten Bundesparteitag, zwei Wochen später. Ein wenig schnell, ja, aber so leicht verschreckt man mich nicht. Irgendwann wird man ja mal zusammen in den Urlaub fahren dürfen.

Es geht nach Neumünster. Die folgenden zwei Tage reden wir ununterbrochen, schauen uns lange in die Augen, und auf einmal ist es, als hätten wir uns schon immer gekannt: wir tauschen peinliche Anekdoten, furzen voreinander und lernen unsere besten wie auch schlechten Seiten kennen, gründlich, methodisch, in hitziger Debatte und im so herausgerutschten Nebensatz. Und wir verlieren das Bedürfnis, uns zu beeindrucken.

Nach dieser gemeinsamen Reise habe ich das Gefühl, alles zu wissen, was ich unbedingt wissen muss, um eine informierte, ehrliche Wahl treffen zu können; ich weiß, ob sie meine Freunde mögen, wie sie meine persönlichen Ziele und Werte beurteilen, was wir miteinander alles machen können und was nicht, ich kenne ihre Pläne für die Zukunft, ihre Bedürfnisse und Forderungen, und ich weiß, wie sie nach zu wenig Schlaf an einem Regentag aussehen. Ja, das ging sehr schnell, und ja, das ist gut so.

Mutti, Vati, das sind die Piraten.

Wir gehen jetzt miteinander.