Das Klaus

Gesammelte Werke

11.01.2021

Jahresrückblick in Spenden / A Year in Donations

(english below)

Ein Kalenderjahr ist vergangen, ein Lebensjahr ist vergangen, man kann ja mal zurückblicken.
Ich habe im letzten Jahr 600$, 50£ und 378€ für diverse Zwecke gespendet.

Seit ich genug Einnahmen dafür habe, versuche ich, regelmäßig und sinnvoll zu spenden. Als Faustregel gilt: wenn ich mir größere und nicht notwendige Anschaffungen leisten kann, dann kann ich mir auch leisten, eine ebensogroße Summe in die Verbesserung der Welt zu investieren. Und wenn ich schon die Welt verbessern will, sollte ich das so effizient wie möglich tun.

Nun hab ich persönliche Präferenzen (zum Beispiel politischen Ursprungs) und ineffiziente Impulse - das kommt vor. Wenigstens die Hälfte meiner Spenden versuche ich aber an GiveWell zu geben, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Geld evidenzbasiert dorthin zu verteilen, wo es am meisten nützt, auch wenn das nicht so cool oder emotional attraktiv ist wie Kultur und Kinderkrankenhäuser.

Ich hoffe, das mag den einen oder anderen motivieren, den einen oder anderen Obulus zu geben, und zu reflektieren, wo dieser am Sinnvollsten aufgehoben ist. Vorschläge für Impulsspenden für das nächste Jahr nehme ich gern entgegen.

Im Folgenden meine Auflistung meiner Spenden im letzten Jahr:

450$ GiveWell: Maximum Impact Fund
50$ GiveWell: GiveDirectly
50$ GiveWell: administrative costs
50$ Snopes: Faktenchecks (fact checks)
50€ Zoo Rostock: Tierpatenschaft für einen Katta (animal sponsorship for a ring-tailed lemur)
50$ Organization for Transformative Works
50€ atmosfair: offsetting 2170kg CO₂
72€ IWW: Mitgliedschaft (membership)
60€ Sea-Watch: Fördermitgliedschaft (supporting membership)
46€ São Tomé Animal Health Center
50€ Rostock hilft (refugee aid)
50€ Correctiv (journalism)
50£ Abortion Support Network


---- English ----

A year in donations

A calender year is over, I am one year older; time for a review.
I donated 600$, 50£ and 378€ for various causes, listed above.

Since I have enough income, I try to donate regularly and sensibly. As a rule of thumb: If I can afford to make big and non-essential purchases, I can afford to donate the same amount to charity. And when I donate to charity, I should do so as efficiently as possible.

Now, I have pet issues, personal preferences (e.g. of the political kind) and inefficient impulses – it happens. But at least half of what I donate I try to give to GiveWell, who made it their goal to distribute money evidence-based to those charities where it does the most good, even if that is not as cool or emotionally attractive as arts and child hospitals.

I hope this motivates some to spare some coins, and to reflect where those could be of most use. I am also taking suggestions for donations for the next year.
13.09.2019

Stafford Beer: The Cost Benefit Analysis Song

Vor 46 Jahren starb durch den Putsch in Chile ein Traum der Kybernetik: Cybersyn, ein Netz an Fernschreibern, Kontrollräumen und Software, das zur Verwaltung und Steuerung wirtschaftlicher Vorgänge in Echtzeit konzipiert war.
Nach Zerstörung des Kontrollzentrums und Sturz der Allende-Regierung zog sich Stafford Beer, Cybersyns Architekt, nach Wales zurück und widmete sich vermehrt der Poesie.
Einen seiner Texte habe ich für Klavier, Cello, Drums und zwei Stimmen vertont.


MuseScore-File
Noten als pdf
Auf Musescore.com

How many bricks constructed this prison
And how many grapes went into the wine
How many illusions were lost for the vision
Of how many angels advancing in line?

How many lifetimes were ended in torment
And how many people this day would resign
How many bank balances just for this moment
And how many grapes went into the wine?

How many units of human compassion
And how many grapes went into the wine
How many illusions were sacrificed wantonly
How many people have looked for a sign?

How many women are need to fashion
The how many men who are forced to assign
How many excursions to bed were for passion
And how many grapes went into the wine?

How many men have been killed by our soldiers
And how many grapes went into the wine
How many insurgents are listed in Folders
And how many children are shot through the spine?

How many truths have run through our fingers
And how many credos... Believing in mine
How many have led into unthought of dangers
And how many grapes went into the wine?
24.10.2018

Black Holes Burn Brightly


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Lyrics by Ruther Rendommeleigh:

Black holes burn brightly in the night
Devouring stars
Devouring space
They speak in bursts of tainted light
Of long forgotten days

Unfurl the sails and cut the rope
Let go of love
Let go of land
As we drift off, abandon hope
Brace for a bitter end

Cast off your pride
Cast off your fear
Let skull and crossbones fly
Nowhere to hide
A storm draws near
Hold fast or you will die
Hold fast or you will die

Our blood must feed the engine now
A drop of you
A drop of me
The price to drive our mighty prow
Across the starlit sea

The void was never meant for man
A biting cold
Like none before
Still we press on until we can
No longer see the shore

Cast off your pride ...

The shapeless chaos sings to us
Leads us ahead
Leads us astray
It speaks of madness glorious
Our course begins to sway

A broken vow, a lover's kiss
Drove us to doom
Drove us to flight
Our journey's end a black abyss
Our eyes still shining bright

So light the torches
Light the deck
And set the sails ablaze
Let fire scorch us
No way back
We'll make it through the haze

And on the other side, a shore
A peaceful beach
A pleasant day -
- So plunder, pillage, fight and whore
This is the pirate way
28.02.2017

Warten - ein Erlebnisbericht

Mir ist seit Sonntag kontinuierlich schwindlig. Ich kann Fahrrad fahren und geradeaus gucken, aber es fühlt sich nicht so an. Der Hausarzt schickt mich zum HNO.

Es ist in diesem Wartezimmer seit einer Stunde nicht vorangegangen. Es sind neun Leute vor mir dran. Ich habe meine Wasserflasche vergessen, genau wie etwas zu lesen. Von den neun Leuten sind vier Kinder. Ich habe schon zwei ausführlichen Diskussionen lauschen dürfen, ob Papa oder Mama mit auf Toilette soll, weil das Kind groß muss und do-hoch, da soll jemand helfen, nein, Papa soll, nicht Mama, und dann soll das Kind rufen wenn es fertig ist und dann ruft es erst, dass es warten muss, weil schon jemand da ist, und dann ruft es nochmal, weil es jemanden pullern hören kann, und dann nochmal, als es selber pullert. Die Wartezimmerbevölkerung blickt den gesamten Austausch hindurch kollektiv teilnahmslos zu Boden.

Hier macht man was mit.

Es gehen zwei Leute. Es sind noch neun vor mir.

Eine Mutter schreibt mit ihrem Kind ein Diktat. Sie legt dabei eine bemerkenswerte Ungeduld an den Tag, und das sage ich als weitbekannter Undulder. "Boah, schreib noch noch größer, hörst du? Weiter, also: Kläähklich rollte der Ball hinter das Tor, hast du gehört, kläähklich, hab ich extra betont, so. Wie weit bist du? Die anderen Kinder, die. Anderen. Kinder. Nichts stopp, machst du das bei deiner Lehrerin auch so? Warten Sie mal kurz, echt? Das machst du?"
"Die macht das aber tausdendmal langsamer."
"Ja, du bist aber auch langsam. So, zeig mal her, gib den Stift. Mensch, du krakelst hier aber rum. Die Ande-renn, hab ich gesagt, nicht andern, hast du nicht zugehört?"
Eine andere Frau lauscht mit tiefen Zornesfalten im Gesicht. Immer, wenn die Mutter das Kind ansieht, wird sie heimlich mit dem bösen Blick bedacht.

Es wird jemand aufgerufen. Sie kommt aus einem Nebenraum, von dem ich bislang annahm, dass er zu den Toiletten führen würde, da vorhin Kinder durch die entsprechende Tür verschwunden sind. Neun Leute sind noch vor mir.

Der Mann neben mir schiebt seine dritten Zähne hin und her. Ich stelle mir vor, ihn aus dem Nichts heraus anzuschreien, er solle das bleiben lassen, und danach weiterzuschreiben, als sei nichts passiert.

Es gibt einen Wasserspender. Seit das Diktat beendet ist, herrscht Totenstille. Ich wage nicht, mich zu rühren.

Ein Kind wird aufgerufen. Es liest noch. Die Mutter fragt, ob es gerade sehr spannend sei. Das Kind liest. Und liest. Und liest.
Schließlich steht es auf, geht zum Mülleimer, der direkt neben dem außerordentlich verlockenden Wasserspender steht, spuckt etwas aus und verkündet: "Fertig!" Die beiden gehen, also, Kind und Mutter, nicht Kind und Wasserspender. Oder Mülleimer.

Es wird jemand aufgerufen. Niemand erscheint aus dem Nebenraum, stattdessen steht jemand auf, der bereits von Anfang an hier saß. Von Anfang an, das ist mittlerweile fast zwei Stunden her. Es sind noch sechs Leute vor mir dran. In mir keimt Hoffnung.

Ich beginne zu vermuten, dass die Frau mit den Zornesfalten vielleicht einfach so aussieht. Diktatmutter und Diktatkind sind lange verstummt, aber die Falten sind immer noch da.

Der Mann neben mir knirscht nicht mehr mit den Zähnen, aber schaut bereits zum zehnten Mal auf die Uhr. Auch sonst kann er die Hände nicht stillhalten. Sein Ärmel weist einen Fettfleck auf, wo er beharrlich daran herumzuppelt. Er streicht seine Hosen glatt, zieht dann am Knie am Stoff, so dass eine Falte entsteht. Diese streicht er dann wieder glatt. Erneut schaut er auf die Uhr. Mein Handy ist längst den Akku-Tod gestorben, ich habe keine Möglichkeit mehr, die Zeit zu bestimmen. Ich binn versucht, dem Mann auf die Uhr zu sehen, wenn er den Arm das nächste Mal hebt. Jetzt. Er streicht sich das Kinn. Ich schaue trotzdem nicht. Feigling.

Der junge Mann auf der anderen Seite wird aufgerufen. ICh bin ein wenig enttäuscht - er hatte ein interessantes Muttermal am Hals. Ein Rohrschachtest to-go. Zornesfalte, Diktatmutter/-Kind oder Zuppelmann wären mir lieber gewesen. Noch vier Leute vor mir, aber ich gehe davon aus, dass Diktatmutter und Kind zusammengehören. Also drei.

Ich überwinde mich und ziehe meine Jacke aus. Die erste Stunde war mir noch kalt, aber ein Wintermantel über Sommerjacke über zwei Hemden entfalten doch irgendwann ihre Wirkung.

Zuppelmann hat sich kaum noch unter Kontrolle. Die Finger bewegen sich unaufhörlich, aber auch die Beine streckt er jetzt alle paar Sekunden aus oder winkelt sie an. Sitzen wird ihm wohl unbequem. Es geht mir maßlos auf den Keks.

Es kommt jemand herein (zum Spritzen - was auch immer da konkret gespritzt wird) und beginnt, sich lautstark mit Zornesfalte zu unterhalten. Auch das geht mir maßlos auf den Keks.

Zuppelmann zuppelt, sieht auf die Uhr, sagt laut: "Puuuh." Ich hasse, dass er neben mir sitzt. Mittlerweile sind viele Plätze frei, dennoch sitzt er direkt neben mir. Er zieht die Socken hoch, streift die Hose glatt, verschränkt die Arme, dreht die Daumen. Dann zuppelt er eine Falte in die Hose, die er sofort wieder glatt zieht.

Spritze wird aufgerufen. Mutter Diktat beschreibt fein aufgeschlüsselt ihre Wochenpläne, inklusive welchen Bus sie wohin nehmen wird. Kind Diktat hört aufmerksam zu und stellt Rückfragen.

Rohrschach kehrt zurück, gewährt mir einen letzten Blick auf seinen Hals, zieht eine Jacke an und geht.

Zuppelmann heißt Herr Waack. Er ist schon halb beim Doktor, ehe dieser seinen Namen vollständig aufgerufen hat, obwohl er nur eine Silbe hat. Ich atme auf.

Spritze ist zurück und beginnt, auf ihrem Handy herumzuspielen.

Mit Ablegen meines Mantels habe ich mir einen Becher Wasser besorgt. Ich erwähne das erst jetzt, weil er jetzt erst trinkbar ist. Er steht seit einer halben Stunde auf der Heizung. An der Außenseite kondensiert immer noch Luftfeuchtigkeit.

Rohrschachs Muttermal ähnelte dem Zentralnervensystem. Ein großes Oval (Hirn) mit ein wenig Gekräusel an der Unterseite (Kleinhirn) und einem langen, seitlich abgehenden Faden - dem Rückenmark. Auch eine Qualle käme in Frage, oder ein Klecks zerlaufender Farbe.

Zornesfalte wird aufgerufen. Jemand anders nimmt eine Jacke weg - wie sich herausstellt, verdeckte sie einen Sitzplatz, den ich übersehen haben muss. Doch noch jemand mehr hier.

Ein Kind kommt herein, legt die Sachen ab und setzt sich. Ein paar Minuten später - es schreibt auf seinem Handy - kommt die Schwester und fragt, ob es hier nur warte.
"Ja, erstmal schreib ich aber noch mit meiner Mutter."
"Das kannst du auch gleich weiter machen, aber gehst du dann auch in Behandlung?"
"Ja, danach."
"Und wie heißt du?"
"Julian."
"Und dein Familienname?"
Julian sagt es ihr. Im Warteraum verbreitet sich ein Lächeln. Das Kind bemerkt nichts Ungewöhnliches an diesem Austausch.

Der Mann, der sich hinter der Jacke verborgen hatte, erklärt der Schwester, sie hätte ihn einfach sitzen lassen sollen. "Ach", wehrt die Schwester ab. "Macht man so." - "Ja, naja. Nee."

Ein paar weitere Minuten später informiert die Schwester Julian, dass er erst in vier Wochen seine Spritze holen kann. Julian stört das nicht. Er möchte dennoch ein wenig bleiben und warten - wohl, bis die Mutter heimkommt.

Die Schwestern reden untereinander. Ein Buchtitel fällt nicht mehr ein. "Neue Schmerzen oder so".
"Die neuen Leiden des jungen Werther", verkündet Spritze hilfreich.
"Gibt's davon nicht zwei?"
"Ja, das eine ist neuer."

Julians Mutter ist der Meinung, er könne jetzt heimkommen, meint Julian und macht sich auf den Heimweg. Auch der Mann, der ihn gern hätte sitzen lassen, steht bald darauf auf und geht. Auf was er gewartet hat, ist unklar.

Die Pflanze am Fenster hat lila, halbdurchscheinende Blätter. Wo sie nicht durchscheinend sind, zeichnet sich eine grüne Struktur ab. Es sieht gar nicht mal schlecht aus.

Außer Spritze, Diktat und mir ist niemand mehr hier. Jedenfalls bis die Tür sich öffnet und zwei neue Leute hereinkommen. Dankenswerterweise wollen sie nur einen Termin - halt, nein. Eine davon will einen Termin, ein anderer hat bereits einen, nimmt Platz und schnürt seine türkisen Turnschuhe neu. Diktatkind heißt Pierre-Ryan. Ich denke schlecht von seiner Mutter.

Noch jemand fragt nach einem Termin. Hat sich schon zwei Monate gequält, kann nicht früh, und noch einen Monat warten erst recht nicht. Ist selbständig und kann sich auf keinen Fall freinehmen. Die Terminsuche ist ein Tauziehen.

Ich trinke den dritten Becher Eiswasser, aber was langsam fehlt, ist Nikotin. Die Praxis müsste bald schließen. Ich bin mit Turnschuh allein.

Auf dem Gelände, auf dem früher das Meli stand, wird bald gebaut, erzählt Spritze. Die Bäume und Hecken, die dort gefällt und entsorgt wurden, sollten anscheinden gar nicht weg. Jemand hat den Plan falschherum gehalten. Nun wird auf einer Seite neu gepflanzt.
"Und der Augensammler, soll ich dir ausrichten, sammelt wirklich Augen."
Schwester: "Ein bisschen eklig, aber spannend. Nee, ist schon cool."
Spritze ist jetzt endgültig weg. Turnschuh wird aufgerufen. Ich bin allein.



Ich hab einen verzögerten Erregungsabfall im linken Innenohr. Oder eine verringerte Erregbarkeit. Oder beides. Ich habe nicht genau zugehört, aber ich bin schon mal heilfroh, dass man etwas gefunden hat. Schwindel, das ist so ein Wischiwaschisymptom, da fühlt man sich ohnehin wie ein Simulant. Die Tabletten muss ich komplett selbst bezahlen (22,85€), aber in ein, zwei Wochen sollte alles wieder beim Alten sein. Dann darf ich nochmal zur Kontrolle. Man darf auf das Wartezimmer gespannt sein.
02.10.2014

Humor als Politikum

Gerne wird Gesellschaftskritik als humorlos bezeichnet. "Du verstehst aber auch keinen Spaß" gilt aus irgendeinem Grund als legitime Verteidigung von Sexismus, Rassismus und allen möglichen anderen -ismen, oder auch gewöhnlicher Beleidigung. Damit steht die Befürwortung des ungezügelten Humors auf einer Stufe mit der Forderung nach dickem Fell, die ebenfalls eher problematisch ist.

Dabei handelt es sich um eine einfache Werteabwägung - Spaß und Witz werden über Gerechtigkeit oder Höflichkeit gestellt. Die Freiheit, zu beleidigen, über die Freiheit, nicht beleidigt zu werden. Und, so wenig ich die Rhetorik mag, Täterrechte über Opferrechte. Das ist nicht besonders überraschend, wenn man bedenkt, dass es bei Diskriminierung und sozialer Ungerechtigkeit immer viel mehr Täter als Opfer gibt. Das macht Machtverhältnisse in der Regel aus.

Dergleichen Wertehierarchie findet sich sehr oft in Argumentationen. Man denke nur daran, dass die Breast Cancer Research Foundation den Namen "save the ta-tas" trägt, als wäre das Ziel von Brustkrebsfrüherkennung, Brüste zu retten und nicht Menschenleben (schließlich kann auch eine Früherkennung eine OP oft nicht verhindern - wohl aber den Tod der Betroffenen). Oder die "Consent is Sexy"-Kampagne für verbalisierte Einvernehmlichkeit im sexuellen Kontakt, als wäre Sexiness bedeutsamer als verhinderte Vergewaltigungen. Das ist natürlich unfair diesen Kampagnen gegenüber - sie wählen Worte, die etwas bewirken, Aufmerksamkeit wecken, Zustimmung erzeugen. Aber sie zeigen damit auch, wo die Prioritäten ihres Klientels liegen.

Prioritäten sind individuell verschieden

Man muss ja nicht gleich Menschenleben gegen Brüste aufwiegen: die meisten Meinungsverschiedenheiten über Humor entstehen zwischen mildem Vergnügen und milder Entrüstung, und welche Auffassung "richtig" ist, liegt im Auge des Betrachters, insbesondere, da sowohl Vergnügen als auch Entrüstung persönliche Empfindungen sind, die nicht durch Fremdzuschreibung gemessen werden können. Was wie verletzend ist, lässt sich nicht objektiv festschreiben. Es gibt durchaus Interpretationen, die verbreitet oder allgemein anerkannt sind, aber letztendlich bleibt es persönliche Einschätzung und kann daher nicht anderen aufgestülpt werden. Umgekehrt gilt das natürlich ebenso für Humor.

Humor ist nicht universell

Es gibt keine objektive Lustigkeit. Ob ein Witz gut oder schlecht ist, hängt immer vom Betrachter ab. "Ach komm, der war jetzt wirklich witzig" ist eine persönliche Einschätzung. Niemand kann festlegen, was ein anderer wie witzig zu finden hat. Genauso kann niemandem vorgeschrieben werden, dass er etwas nicht lustig finden darf. Es bedarf also Kommunikation über die eigenen Gefühle, nicht Streit um die Zulässigkeit derer des Anderen. Im Klartext heißt das: jeder darf die Witze machen, die er will, und jeder darf die Witze kritisieren, die er will. Kritik an Äußerungen wird nicht ungültig, wenn die Äußerung für den Äußernden irgendwie doch aber lustig war.

Humor hat ein Narrativ

Nicht, worüber gescherzt wird, ist inhärent problematisch, sondern welche Geschichte damit erzählt wird. So gibt es eine Menge Humor, der ohne Opfer auskommt, und ebensoviel, der Diskriminierung angreift, anstatt sie zu reproduzieren. In emotional belastenden Berufen oder Lebenssituationen greifen manche Menschen auf Galgenhumor zurück, finden also durchaus komische Elemente in Dingen, über die man normalerweise nicht spaßt. Galgenhumor ist gekennzeichnet davon, das Menschen über sich selbst oder ihre Situation lachen, nicht das Leid anderer zur Pointe relativieren. Das wird deshalb wenig kritisiert, weil geschmackloser Humor nicht zwangsläufig den Ernst einer Sache abstreiten muss.

Bedenklich ist, dass eine große Menge an Witzen über Tabuthemen sich explizit über Benachteiligte lustig machen. Das liegt nicht am Thema, sondern am Narrativ - die Benachteiligung selbst wird zum witzigen Element erklärt. Dabei ließe sich der Spieß ohne Weiteres auch umdrehen. Es ist zum Beispiel für Judenwitze nicht nötig, bestehende Klischees zu bedienen und sich über Juden lustig zu machen. Denn genausogut (und viel besser!) kann man über Menschen mit antisemitischen Vorurteilen lachen, oder über antisemitische Verschwörungstheorien. Es kommt nicht darauf an, über wen man redet, sondern über wen man am Ende lacht. (Das soll nicht heißen, dass Judenwitze zum guten Ton gehören.) Niemand erklärt das besser als Lindy West anhand von Vergewaltigungswitzen.

Es gilt immer noch, dass das nicht jeder lustig findet, dass es immer möglich ist, unbeabsichtigt Leute zu verletzen, und dass man ein Arschloch ist, wenn man absichtlich Leute verletzt, oder sich über die Verletzung selbst lustig macht.
Es gibt eine Sorte ach-so-lustiger-Youtube-Videos, die es in den Mainstream geschafft haben, die Menschen bei Unfällen zeigen. Kinder, die vom Skateboard fallen. Motorradfahrer, die nach einem halben Looping in die Sandbahn stürzen. Betrunken Tanzende, die vom Tisch rutschen. Schadenfreude aus der Konserve. Ich halte den Humor eines Menschen für ein recht gutes Aushängeschild eines Charakters. Schadenfreude ist das Äquivalent von Sadismus. Der wird dadurch nicht besser, dass dabei gelacht wird.

Fazit

"Keinen Sinn für Humor" zu haben, ist daher mitnichten ein Charakterfehler. Die meisten Menschen, über die das gesagt wird, finden durchaus auch Dinge lustig, nur eben andere. Schwarzer Humor ist weder eine elitäre Königsdisziplin der Komik, noch etwas, das immer zu Lasten der Unterdrückten gehen muss. Und Humor ist keine Enschuldigung für Diskriminierung. Niemals.
18.08.2014

Troll - Eine Werwolfvariante für Parteitage

Wer (aus welchen Gründen auch immer) Sehnsucht nach Parteitagen hat, obwohl gerade keiner stattfindet, kann sich die Zeit mit dieser Werwolf-Variante vertreiben. Einfach ausdrucken, Spielanleitung lesen, Karten ausschneiden und mindestens sieben Mitspieler finden. Dieses Spiel erhebt keinerlei Anspruch an Realitätsnähe.

Wieder einmal versammeln sich die Mitglieder von $Partei, um ihren Vorstand zu wählen, der sie zu neuen Wahlerfolgen führen soll. Doch unter ihnen sind Trolle, die ebenfalls um Ämter kämpfen. Und auch das Parteiengesetz will eingehalten werden ...
Anleitung und Karten als pdf (1,53 MB)

Zum Verändern und basteln:
Karten als svg
Karten in png-Format als zip-Archiv
Anleitung als txt

Spielvorbereitung:

Die Karten werden ausgedruckt, ausgeschnitten und entsprechend der Spieleranzahl abgezählt. Die Kandidaturkarten werden dabei nicht mitgezählt. Auf eine ausgeglichene Verteilung der Rollenkarten sollte geachtet werden, etwa die Hälfte der Spieler sollten Basismitglieder, etwa drei Viertel gefahrlos wählbar sein.
Die Spieleranzahl wird durch drei geteilt und aufgerundet, um die Größe des Vorstands zu bestimmen. Die entsprechende Menge Kandidaturkarten wird unter die Rollenkarten gemischt.

Ein Spielleiter wird bestimmt. Die übrigen Spieler setzen sich annähernd kreisförmig in den Raum, so dass der Spielleiter sich frei unter ihnen bewegen kann. Er teilt nun für die Spieler verdeckt die Rollenkarten aus. Stößt er auf eine Kandidaturkarte, wird diese offen vor den Spieler, der zuletzt eine Rollenkarte erhalten hat, gelegt.

Nun beginnt die Anreisephase: jeder Spieler schaut sich zunächst seine eigene Karte an. Auf Geheiß des Spielleiters begeben sich die Mitglieder in ihre Hotels, das heißt sie schließen die Augen. Die Sonderrollen werden nun nacheinander aufgerufen, dürfen die Augen öffnen und, falls Rollen mehrfach im Spiel sind, einander erkennen und dann wieder einschlafen.

Spielverlauf:

Am Morgen beginnt der erste Wahlgang: alle Spieler bestimmen unter den Kandidaten ein neues Vorstandsmitglied. Dabei dürfen sie Kandidaten befragen, sich untereinander absprechen oder Reden halten, bis aller Diskussionsbedarf erschöpft ist. Dann kommt es zur Stimmabgabe.

Die Wahl wird entweder mit Stimmzetteln, auf denen die Kandidatennummer notiert wird und die vom Spielleiter eingesammelt werden, oder über eine Strichliste durchgeführt. Diese wird vom Spielleiter herumgereicht, wobei vorangegangene Stimmen verdeckt werden müssen. Haben alle Spieler ihre Stimme abgegeben oder sich durch Abgabe eines leeren Zettels enthalten, ist der Wahlgang beendet.

Parteitage sind eine zähe Angelegenheit: nach jedem Wahlgang folgt nun eine Auszählpause, in der getrollt, zurückgetreten, kandidiert werden kann. Während der Auszählpause schließen zunächst alle Spieler wieder die Augen. Nach und nach erwachen nun die Sonderrollen und können ihre Ämter und Funktionen nutzen, bevor sie wieder einschlafen. Haben mehrere Spieler die gleiche Sonderrolle, müssen sie sich nonverbal auf eine gemeinsame Aktion einigen.

Basismitglieder haben keine besonderen Fähigkeiten oder Rechte und verbringen die Auszählpausen mit Essen, Gesprächen oder Partyspielen.

Auch eine Kandidatur bringt in dieser Phase keine speziellen Privilegien mit sich.

Zunächst können amtierende Vorstände ein Mitglied in der Mitgliederdatenbank nachschlagen und damit Einsicht in dessen Rollenkarte erhalten.

Mandatsträger können einzelne Mitglieder vor Austritt, Parteiausschluss und Hausverboten bewahren. Im Gegensatz zu anderen Rollen kann dabei jeder Mandatsträger einen anderen Spieler beschützen.

Dann haben die Trolle Gelegenheit, ein Mitglied zum Austritt zu bewegen. Die Rollenkarte des betroffenen Spielers wird vom Spielleiter eingesammelt. Handelt es sich um einen Kandidaten, können die Trolle bestimmen, wer an dessen Stelle nun kandidiert. Die Kandidaturkarte wird mit der leeren Rückseite zuoberst an ihren neuen Platz gelegt. Ist das betreffende Mitglied geschützt, schlägt die Trollerei fehl.

Nun tagt das Schiedsgericht und kann ein Parteiausschlussverfahren verhandeln. Auch dabei wird, sofern das Mitglied nicht durch Mandatsträger geschützt ist, die Rollenkarte des betroffenen Spielers eingesammelt und gegebenenfalls seine Kandidaturkarte umgedreht neu platziert.

Versammlungsleiter können Hausverbote aussprechen, mit den gleichen Folgen wie Parteiausschluss und Austritt.

Zuletzt bekommen die Wahlleiter die Möglichkeit, die Kandidatenliste zu verändern. Dabei wird eine Kandidaturkarte – ob umgedreht oder nicht – von einem Spieler zu einem anderen transferiert.

Auszählung:

Nun sind die Urnen (hoffentlich) ausgezählt – diese Aufgabe hat in diesem Fall der Spielleiter. Ist der gewählte Kandidat ausgeschieden, die betreffende Kandidaturkarte also verdeckt, kommt es zu einer Wiederholung des Wahlgangs mit veränderter Kandidatenliste. In jedem anderen Falle wird die Rollenkarte des Kandidaten aufgedeckt und dieser scheidet als neuer Vorstand aus dem Spiel aus, da er eilig zur Pressekonferenz berufen wird. Seine Kandidaturkarte wird eingesammelt und verdeckte Kandidaturkarten aufgedeckt. Nun kann der nächste Vorstandsposten besetzt werden, wenn der Parteitag nicht vorzeitig ein Ende gefunden hat ...

Spielende:

Wurde ein Troll in den Vorstand gewählt, gewinnen die Trolle das Spiel. Die Basis verlässt den Parteitag, Amtsinhaber treten zurück und der neue Vorstand ist sofort handlungsunfähig. Ist ein gewählter Kandidat Wahlleiter oder Schiedsrichter, verstößt der Parteitag gegen Wahlordnung, Satzung und Parteiengesetz gleichermaßen. Die Versammlungsleitung schließt den Parteitag. In diesem Fall gibt es keine Gewinner.
Sind aus allen Kandidaten reguläre Vorstände geworden, endet das Spiel mit einem Sieg für die Basis.

Für Fortgeschrittene:

Wahl- und Versammlungsleiter haben die Möglichkeit, von ihren Parteitagsämtern zurückzutreten und umgehend Nachfolger zu bestimmen. Dies muss während ihrer Sitzung in der Auszählungspause signalisiert werden. Sie können entweder mit ihrem Nachfolger die Rolle tauschen oder eine zufällige aus den verbleibenden oder eingesammelten Karten ziehen. Kandidaturen werden davon nicht berührt.

Während der Aussprache eines Wahlgangs hat die Basis die Möglichkeit, die Absetzung der Wahl- oder Versammlungsleitung per Geschäftsordnungs-Antrag mit einfacher Mehrheit zu fordern. In diesem Fall tauscht der Wahlleiter mit dem GO-Antragsteller die Karte.

Das wär's. Ich wünsche viel Vergnügen. Wer eine Runde spielt, lädt mich bitte dazu ein. Feedback und Erfahrungen sind immer willkommen.
21.05.2014

Szenen einer Partnerschaft

Morgens um vier.
R. schaut Film, am Rechner, über Kopfhörer.
Ich schaue auch Film, am Laptop, im Bett.

Ich: "Weißt du, was ich an dir mag?"
R. (pausiert den Film): "Na?"
Ich: "Dass du dich von mir beim Filmgucken unterbrechen lässt, wenn ich irgendwo ein lustiges Wort gefunden hab. Oder ein lustiges Gif. Oder mir über irgendwas Gedanken mache. Oder dich einfach nur von der Seite vollsülzen will."
R.: "Ja, ich setze halt Prioritäten."
Ich: "Dabei guckst du ja grad Film. Und ich hab ja meist auch nichts interessantes zu sagen."
R.: "Ich mag die Frequenz, mit der du das machst. Eigentlich sehr angenehm."

Pause.
R. macht den Film wieder an.

Ich: "Und weißt du, was ich auch mag?"
R. (pausiert): "Na?"
Ich: "Dass du nicht mal wütend wirst, wenn mir noch was einfällt, obwohl du grade erst den Film wieder angemacht hast."
R. zuckt mit den Schultern, schenkt mir ein strahlendes Lächeln und macht den Film wieder an.

Pause.

Ich: "Weißt du, was ich mich frage?"
R. (schaut unbeirrt weiter): "Wie oft das hintereinander funktioniert?"


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