Das Klaus

Gesammelte Werke

14.03.2014

Geschlechtergerechte Sprache

Sprache ist ein Medium und kann sowohl zur Diskriminierung als auch Inklusion verwendet werden. Sprachliche Konventionen machen außerdem Diskriminierungen und Privilegien in der Gesellschaft sichtbar. Da sich Sprache in der Regel nur langsam entwickelt, finden sich auch immer Hinweise auf historische Attitüden darin.

Von der Veränderlichkeit der Sprache

Wörter haben eine Bedeutung. Diese Bedeutung wird kollektiv durch ihre Verwendung definiert, unterliegt also einem Wandel, der selten von der kompletten sprechenden (und schreibenden) Bevölkerung auf einmal vollzogen wird. Vielmehr ist ein solcher Wandel etwas, das sich schrittweise zunächst in einzelnen Kreisen und Gruppen entwickelt, und sich dann im Rest der Bevölkerung etabliert - oder auch nicht. Die meisten Versuche, Sprache bewusst zu beeinflussen, sind fehlgeschlagen und untergegangen, weil sie sich nicht verbreitet haben. Andere sind in die Alltagssprache übergegangen, ohne dass die dahinterliegende Absicht überhaupt noch bekannt wäre. Und zu guter Letzt werden Begriffe entwendet, übernommen, gekapert und umgedeutet, Konnotationen verschwinden, schlagen ins Gegenteil um oder verfestigen sich. Nicht immer ist es möglich, den Status quo eines Begriffes klar einzufangen, da er von verschiedenen Leuten verschieden verwendet wird. Der Duden bemüht sich, ein klares Abbild der aktuell verwendeten Wörter zu schaffen, kann sich bei seiner Einschätzung aber sowohl irren als auch selbst Einfluss nehmen durch die Legitimation von Neologismen oder deren Nichtaufnahme.
Kurz: Sprache ist kompliziert. Sie wabert.

Alles ist erlaubt

Jedes Wort, aber auch jede grammatikalische Regel war irgendwann einmal falsch. Und zwar genau solange, bis so viele Menschen "falsch" gesprochen oder geschrieben haben, dass es schließlich richtig wurde. Jeder, der eine Sprache verwendet, zerrt an ihr und drückt ihr seine eigene Verwendung auf. Dialekte sind ein Beispiel dafür: nie käme ich auf die Idee, langweilick statt langweilich zu sagen, eine nicht unerhebliche Menge Menschen sieht das aber anders und sagt es einfach, ohne mich zu fragen. Mit der Zeit verändern sich Aussprache, aber auch Schreibweise. Aus itzt wurde jetzt. Aus E-Mail wurde Email. Aus Delphin Delfin. Und immer gab und gibt es Menschen, die sich einfach nicht an die Regeln halten. Ich kann mir nicht abgewöhnen, kucken statt gucken zu schreiben, nichtssagend statt nichts sagend. Das ist noch harmlos gegen diejenigen, die mit Apostrophen um sich schmeißen, als wären sie Falschgeld, das schnell unters Volk gebracht werden müsse. Aber die dürfen das. Mit Verlassen der Schule gibt es keine Bewertung der Rechtschreibung und des Stils mehr. Erlaubt ist, was gefällt - es mag wenig professionell erscheinen, aber wenn die Korrektur Willi´s Bahnhof's Markts den Umsatz steigern würde, wäre sie längst erfolgt. Willi darf das. Genauso darf ich mich darüber lustig machen, was ich hiermit getan haben möchte. Haha!

Wörter bedeuten Dinge

Im wissenschaftlichen Betrieb, vor allem in den Geisteswissenschaften, ist es Usus, zu Beginn einer Arbeit zunächst sämtliche verwendeten Fachbegriffe zu definieren. Das ist oft nötig, da gebräuchliche Begriffe wie "System" oder "Information" je nach Kontext sehr allgemeine oder sehr präzise Dinge beschreiben können. Oft muss zum fehlerfreien Verständnis erläutert werden, auf welche Theorie, welches Modell, welche Literatur man sich bezieht, oder selbst eine Definition vornehmen. Im Alltag bleibt es nötig, sich auf die übliche Bedeutung zu beschränken oder sich umständlicher auszudrücken. Trotzdem entstehen viele Missverständnisse aus unterschiedlich verstandenen Begriffen, da nicht immer Einigkeit darüber besteht, was die übliche Bedeutung denn nun genau ist. Kommunikation kann überhaupt nur erfolgen, wenn wir Sprache gemeinsam benutzen, in Wechselwirkung von Sender und Empfänger, was wiederum erfordert, eine gemeinsam verstandene Ausgangsbasis zur Verfügung zu haben. Sich über Konventionen hinwegzusetzen, um Sprache zu verändern, kann also nur dann funktionieren, wenn man sich erklärt.

Das generische Maskulinum

Nun aber endlich zur Geschlechtergerechtigkeit: die deutsche Sprache ist durchsetzt von sprachlich manifestierter Ungleichheit. Nicht nur haben sämtliche Substantive im Deutschen ein Geschlecht, auch gibt es keine geschlechtsneutrale Einzahl, um Personen zu bezeichnen, keine Möglichkeit, Frauen und Männer gleichermaßen anzusprechen, wenn man Praktikanten sucht oder adressieren möchte. "Wir suchen einen Praktikanten" macht aus dem Gesuchten einen Mann, und "Liebe Praktikanten" spricht nur die Männer an, zumindest formal. De fakto sind, und das schon lange, Frauen in dieser Form grundsätzlich mitgemeint, der unbekannte Praktikant könnte ebenso eine Praktikantin sein und die Praktikantinnen werden kaum annehmen, das von ihnen nicht die Rede sei. Aber: es ist die männliche Form, die möglicherweise mitgemeinte Frauen unsichtbar macht. Wir haben hier ein Problem.

Markierte und unmarkierte Begriffe

Praktikantin ist ein markierter Begriff: er bezeichnet ganz spezifisch und ausschließlich eine Frau. Praktikant hingegen kann sowohl markiert ("Der Praktikant öffnete mir die Tür") als auch unmarkiert ("Das ist eine Aufgabe für einen Praktikanten") sein, wenn das Geschlecht der betreffenden Person nicht bekannt ist. Ein ähnliches Phänomen kann man anhand von Tag und Nacht beschreiben. Für sich genommen bezeichnen sie die Zeitspanne zwischen Sonnenauf- und Untergang bzw. umgekehrt, ein Tag kann jedoch außerdem beide auf einmal meinen, nämlich 24 Stunden. Die Bedeutung erschließt sich dann erst aus dem Kontext: "Ich habe den ganzen Tag Computer gespielt" lässt Raum für eine Nacht Schlaf, "In zwei Tagen muss ich die Hausarbeit abgeben" schließt zwei Nächte ein. Eine fünftägige Reise beinhaltet hingegen nur vier Nächte, und in Hotels werden gar die Tage in die Nächte eingeschlossen, wenn man ein Zimmer für drei Nächte bucht.

Das generische Femininum

Das Maskulinum ist also die unmarkierte Form, die je nach Kontext Frauen einschließen kann oder nicht. Um der daraus resultierenden mangelnden Sichtbarkeit von Frauen in der Sprache entgegenzuwirken, gibt es nun Bemühungen, das Femininum unmarkiert zu verwenden. Die Universität Leipzig hat das zum Beispiel getan - in jenen Fällen, in denen keine bestimmte Person, sondern eine Rolle bezeichnet wird, deren innehabende Person nicht bekannt ist und somit auch nicht ihr Geschlecht, verwendet sie die weibliche Form und meint die Männer damit mit. Die Presse reagierte darauf zunächst mit Überschriften wie "Herr Professorin" - eine Formulierung, die auf diese Weise natürlich nie zustandekäme, da das Geschlecht eines Herren ja durchaus bekannt ist und damit gar kein unmarkierter Begriff vonnöten ist. Auf Twitter gibt es das Projekt der "In-Woche", während der Teilnehmer für eine Woche das Femininum unmarkiert verwenden, und auch die Uni Potsdam benutzt in ihrer Geschäftsordnung das generische Femininum. Dessen Verwendung zeigt den sprachlich privilegierten Männern, wie es so ist, nur mitgemeint zu sein, und viele entrüstete Reaktionen ("Ich bin aber keine Bürgerin und will auch nicht so genannt werden und fühle mich davon nicht angesprochen") bestätigen nur die sprachliche Ungerechtigkeit, an die sich Frauen längst gewöhnt haben.

Andere Versuche geschlechtergerechter Sprache

Das generische Femininum ist natürlich ein radikales Konzept, das die Diskriminierung umkehrt und insofern als Brückentechnologie, politisches Statement und sprachfeministische Kampagne zu verstehen. Seine Etablierung würde nicht zu mehr Gerechtigkeit und Gleichheit führen, sondern illustriert nur das Problem. Ältere und bekanntere Maßnahmen sind die Beidnennung (Praktikantinnen und Praktikanten), das Binnen-I (PraktikantInnen), diverse Striche (Praktikant-in, Praktikant/in, Praktikant_in) und das Sternchen (Praktikant*in), das außerdem als Trans-Sternchen bekannt ist und Transsexuelle, Intersexuelle sowie Menschen nicht-binärer Geschlechtsidentität einschließt. Diesen Formen ist gemein, dass sie sich nicht mitsprechen lassen, also ausschließlich schriftlich existieren, und allenfalls durch bedeutungsschwangere Pausen oder ausgesprochene Interpunktion sprachlich zum Ausdruck gebracht werden können.

Pragmatische Bedenken

Nun kann man all diese Varianten verwenden, sich darüber streiten, welche gerechter ist und ob sie überhaupt nötig sind, Fakt bleibt, dass Sprache von allen gemacht wird, die sie verwenden, und sich die Mehrheit durchsetzt. Die Mehrheit sind in diesem Zusammenhang zwei verschiedene Mehrheiten: einerseits das, was "auf der Straße" gesprochen wird (darunter zählen übrigens auch Unterhaltungen in geschlossenen Räumen, freier Natur oder auf Bürgersteigen und Fußgängerzonen), und andererseits die förmliche Sprache in Beruf und Behörden - das, was in offiziellen Schriftstücken steht, was man in einer Bewerbung formulieren würde, in einer Rede oder einem Meeting. Die Beidnennung und das Binnen-I sind in der förmlichen Sprache bereits gut angekommen, privat begegnen sie einem aber selten. Das generische Femininum ist weiterhin eher unbekannt und wird nur in höchst ausgesuchten Kreisen verwendet, wo es allenfalls ein kleines Gegengewicht schafft.

Das Privileg des Maskulinum

Was das Gendern "auf der Straße" so unbeliebt macht, ist das eigentliche Privileg, das hinter dem generischen Maskulinum steht: es ist die Grundform, der Stamm eines Wortes. Jede Bemühung, geschlechtergerecht zu kommunizieren, erzeugt mehr Silben, mehr Buchstaben: also das, was die Alltagssprache zugunsten von "ähm" und "öh" und "weißte" und "Hammer, Alter!" wegrationalisiert. Umgangssprache schleift Endungen und Silben rund, verkürzt Begriffe, wo sie es kann, um dann möglichst bedeutungsarme Laute in Denkpausen einzuschieben. Das maskuline Privileg ist es, der Default-Begriff zu sein, die Kurzform, die Grundform, während alles Weibliche in einer längeren, speziellen Sonderform auf dem zweiten Platz landet. Was im Übrigen rein biologisch andersherum ist: die Grundform des Lebens ist weiblich, und erst mit der "Erfindung" der Geschlechter wurde eine zweite, abgewandelte Form, die männliche, eingeführt. Dieses Prinzip zieht sich bis zum Menschen durch: ein Mensch, der kein Testosteron erhält, entwickelt sich phänotypisch zur Frau, unabhängig von den Chromosomen, die er besitzt. Gesellschaftlich werden Frauen aber immer noch als Sonderform des Männlichen angesehen - ein Strichmännchen ist ein Mann, bis man lange Haare dazuzeichnet oder Brüste, antropomorphe Spielfiguren sind männlich, solange sie nicht durch Kleider, pinke Farbe oder Lippenstift und Wimpern als weiblich gekennzeichnet werden und zuguterletzt ist jeder Wortstamm einer Personenbezeichnung zugleich die männliche Form, die mit einem -in versehen werden muss, um sie weiblich zu machen.

Gendern auf englisch

Was die englische Sprache an dieser Stelle tut ist perfide: sie ermöglicht ein Gendern gar nicht erst. "The intern opened the door" ist ein unübersetzbares Mysterium, das erst Auflösung erhält, wenn der Praktikant wichtig genug für einen zweiten Satz ist, indem aus der Rollenbezeichnung dann ein "he" oder "she" werden könnte. Und selbst dann gibt es für einen Praktikanten, dessen Geschlecht man nicht kennt, noch einen netten kleinen Trick: das singuläre they. Einst üblich, ist es in der Versenkung versunken und in Vergessenheit geraten, erlebt aber eine Renaissance, die durchaus erfolgversprechend ist - im Gegensatz zu vielen, nur in kleinsten Kreisen akzeptierten Versuchen, neue Pronomen zu etablieren - Versuche, wie es sie auch hierzulande gibt und von denen die Wenigsten auch nur gehört haben.

Ein versuchtes Fazit

Ich mag meine Sprache, und der deutsche Hang allem immer ein Geschlecht zuzuweisen ist durch Wünschen allein nicht zu entfernen. Auch kann ich kaum als neutral gelten, da das generische Maskulinum mir immer ermöglicht hat, meine fehlende Geschlechtsidentität hinter scheinbar unmarkierten Begriffen zu verstecken. Aber geht es im Feminismus nicht darum, den Standard, den Default, für Frauen zu öffnen? Als Frauen Wahlrecht gefordert haben, wurden da Wahlkabinen für Frauen gebaut, und ein Frauenparlament? Ging es nicht immer darum, Privilegien abzubauen, indem das Privileg für alle geöffnet wurde und damit kein Privileg mehr war? Statt sich mit einem speziellen Extra-Wort nur für Frauen zufriedenzugeben wie mit einem Trostpreis oder einer Teilnehmerurkunde, können wir das -in nicht einfach ganz abschaffen?
Ich bin nicht so naiv, wie das klingt; ich weiß, das es nie so einfach geht, und dass die Unsichtbarkeit von Frauen aus der Sprache so nicht verschwinden wird. Man wird sich immer noch zuerst einen jungen Mann vorstellen, wenn man Praktikant sagt. Aber je öfter man überrascht wird, desto eher verschwindet die maskuline Konnotation der Grundform. Wäre das nicht schön? Und ja: hätten wir Frauenwahlkabinen und Frauenparlamente eröffnet, der Anteil weiblicher Politiker wäre nicht bis heute so erschreckend niedrig. Der Sprache wird es kaum anders gehen. (An dieser Stelle mein Lieblingssprachwitz: Sitzen zwei Homosexuelle im Flugzeug. Sagt die eine zur anderen: "Bestimmt haben sich jetzt alle zwei Schwule vorgestellt." Antwortet die Copilotin: "Und sicher halten sie uns für Passagiere.")

Für mich bedeutet Feminismus, Frauen und Männer nicht zu trennen, sondern zu Menschen zusammenzufassen. Und das Vorrecht auf die sprachliche Grundform nicht den Männern zu überlassen und mit einem extra, extra für uns gemachten -in zurückzubleiben.

Anmerkungen: ich spreche im letzten Satz vorübergehend als Frau. Ich bitte alle Frauen dieser Welt um Verzeihung.
Dieser Text soll generisches Femininum, Beidnennung, Binnen-I, Sternchen und alle anderen Bemühungen um geschlechtergerechte Sprache nicht abwerten. Ich sympathisiere. Nicht hauen.