11.01.2021Jahresrückblick in Spenden / A Year in Donations
(english below)
Ein Kalenderjahr ist vergangen, ein Lebensjahr ist vergangen, man kann ja mal zurückblicken.
Ich habe im letzten Jahr 600$, 50£ und 378€ für diverse Zwecke gespendet.
Seit ich genug Einnahmen dafür habe, versuche ich, regelmäßig und sinnvoll zu spenden. Als Faustregel gilt: wenn ich mir größere und nicht notwendige Anschaffungen leisten kann, dann kann ich mir auch leisten, eine ebensogroße Summe in die Verbesserung der Welt zu investieren. Und wenn ich schon die Welt verbessern will, sollte ich das so
effizient wie möglich tun.
Nun hab ich persönliche Präferenzen (zum Beispiel politischen Ursprungs) und ineffiziente Impulse - das kommt vor. Wenigstens die Hälfte meiner Spenden versuche ich aber an
GiveWell zu geben, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Geld evidenzbasiert dorthin zu verteilen, wo es am meisten nützt, auch wenn das nicht so cool oder emotional attraktiv ist wie Kultur und Kinderkrankenhäuser.
Ich hoffe, das mag den einen oder anderen motivieren, den einen oder anderen Obulus zu geben, und zu reflektieren, wo dieser am Sinnvollsten aufgehoben ist. Vorschläge für Impulsspenden für das nächste Jahr nehme ich gern entgegen.
Im Folgenden meine Auflistung meiner Spenden im letzten Jahr:
450$ GiveWell:
Maximum Impact Fund
50$ GiveWell:
GiveDirectly
50$ GiveWell: administrative costs
50$
Snopes: Faktenchecks (fact checks)
50€
Zoo Rostock: Tierpatenschaft für einen Katta (animal sponsorship for a ring-tailed lemur)
50$
Organization for Transformative Works
50€
atmosfair: offsetting 2170kg COâ‚‚
72€
IWW: Mitgliedschaft (membership)
60€
Sea-Watch: Fördermitgliedschaft (supporting membership)
46€
São Tomé Animal Health Center
50€
Rostock hilft (refugee aid)
50€
Correctiv (journalism)
50£
Abortion Support Network
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A year in donations
A calender year is over, I am one year older; time for a review.
I donated 600$, 50£ and 378€ for various causes, listed above.
Since I have enough income, I try to donate regularly and sensibly. As a rule of thumb: If I can afford to make big and non-essential purchases, I can afford to donate the same amount to charity. And when I donate to charity, I should do so as
efficiently as possible.
Now, I have pet issues, personal preferences (e.g. of the political kind) and inefficient impulses – it happens. But at least half of what I donate I try to give to
GiveWell, who made it their goal to distribute money evidence-based to those charities where it does the most good, even if that is not as cool or emotionally attractive as arts and child hospitals.
I hope this motivates some to spare some coins, and to reflect where those could be of most use. I am also taking suggestions for donations for the next year.
28.02.2017Warten - ein Erlebnisbericht
Mir ist seit Sonntag kontinuierlich schwindlig. Ich kann Fahrrad fahren und geradeaus gucken, aber es fühlt sich nicht so an. Der Hausarzt schickt mich zum HNO.
Es ist in diesem Wartezimmer seit einer Stunde nicht vorangegangen. Es sind neun Leute vor mir dran. Ich habe meine Wasserflasche vergessen, genau wie etwas zu lesen. Von den neun Leuten sind vier Kinder. Ich habe schon zwei ausführlichen Diskussionen lauschen dürfen, ob Papa oder Mama mit auf Toilette soll, weil das Kind groß muss und do-hoch, da soll jemand helfen, nein, Papa soll, nicht Mama, und dann soll das Kind rufen wenn es fertig ist und dann ruft es erst, dass es warten muss, weil schon jemand da ist, und dann ruft es nochmal, weil es jemanden pullern hören kann, und dann nochmal, als es selber pullert. Die Wartezimmerbevölkerung blickt den gesamten Austausch hindurch kollektiv teilnahmslos zu Boden.
Hier macht man was mit.
Es gehen zwei Leute. Es sind noch neun vor mir.
Eine Mutter schreibt mit ihrem Kind ein Diktat. Sie legt dabei eine bemerkenswerte Ungeduld an den Tag, und das sage ich als weitbekannter Undulder. "Boah, schreib noch noch größer, hörst du? Weiter, also: Kläähklich rollte der Ball hinter das Tor, hast du gehört, kläähklich, hab ich extra betont, so. Wie weit bist du? Die anderen Kinder, die. Anderen. Kinder. Nichts stopp, machst du das bei deiner Lehrerin auch so? Warten Sie mal kurz, echt? Das machst du?"
"Die macht das aber tausdendmal langsamer."
"Ja, du bist aber auch langsam. So, zeig mal her, gib den Stift. Mensch, du krakelst hier aber rum. Die Ande-renn, hab ich gesagt, nicht andern, hast du nicht zugehört?"
Eine andere Frau lauscht mit tiefen Zornesfalten im Gesicht. Immer, wenn die Mutter das Kind ansieht, wird sie heimlich mit dem bösen Blick bedacht.
Es wird jemand aufgerufen. Sie kommt aus einem Nebenraum, von dem ich bislang annahm, dass er zu den Toiletten führen würde, da vorhin Kinder durch die entsprechende Tür verschwunden sind. Neun Leute sind noch vor mir.
Der Mann neben mir schiebt seine dritten Zähne hin und her. Ich stelle mir vor, ihn aus dem Nichts heraus anzuschreien, er solle das bleiben lassen, und danach weiterzuschreiben, als sei nichts passiert.
Es gibt einen Wasserspender. Seit das Diktat beendet ist, herrscht Totenstille. Ich wage nicht, mich zu rühren.
Ein Kind wird aufgerufen. Es liest noch. Die Mutter fragt, ob es gerade sehr spannend sei. Das Kind liest. Und liest. Und liest.
Schließlich steht es auf, geht zum Mülleimer, der direkt neben dem außerordentlich verlockenden Wasserspender steht, spuckt etwas aus und verkündet: "Fertig!" Die beiden gehen, also, Kind und Mutter, nicht Kind und Wasserspender. Oder Mülleimer.
Es wird jemand aufgerufen. Niemand erscheint aus dem Nebenraum, stattdessen steht jemand auf, der bereits von Anfang an hier saß. Von Anfang an, das ist mittlerweile fast zwei Stunden her. Es sind noch sechs Leute vor mir dran. In mir keimt Hoffnung.
Ich beginne zu vermuten, dass die Frau mit den Zornesfalten vielleicht einfach so aussieht. Diktatmutter und Diktatkind sind lange verstummt, aber die Falten sind immer noch da.
Der Mann neben mir knirscht nicht mehr mit den Zähnen, aber schaut bereits zum zehnten Mal auf die Uhr. Auch sonst kann er die Hände nicht stillhalten. Sein Ärmel weist einen Fettfleck auf, wo er beharrlich daran herumzuppelt. Er streicht seine Hosen glatt, zieht dann am Knie am Stoff, so dass eine Falte entsteht. Diese streicht er dann wieder glatt. Erneut schaut er auf die Uhr. Mein Handy ist längst den Akku-Tod gestorben, ich habe keine Möglichkeit mehr, die Zeit zu bestimmen. Ich binn versucht, dem Mann auf die Uhr zu sehen, wenn er den Arm das nächste Mal hebt. Jetzt. Er streicht sich das Kinn. Ich schaue trotzdem nicht. Feigling.
Der junge Mann auf der anderen Seite wird aufgerufen. ICh bin ein wenig enttäuscht - er hatte ein interessantes Muttermal am Hals. Ein Rohrschachtest to-go. Zornesfalte, Diktatmutter/-Kind oder Zuppelmann wären mir lieber gewesen. Noch vier Leute vor mir, aber ich gehe davon aus, dass Diktatmutter und Kind zusammengehören. Also drei.
Ich überwinde mich und ziehe meine Jacke aus. Die erste Stunde war mir noch kalt, aber ein Wintermantel über Sommerjacke über zwei Hemden entfalten doch irgendwann ihre Wirkung.
Zuppelmann hat sich kaum noch unter Kontrolle. Die Finger bewegen sich unaufhörlich, aber auch die Beine streckt er jetzt alle paar Sekunden aus oder winkelt sie an. Sitzen wird ihm wohl unbequem. Es geht mir maßlos auf den Keks.
Es kommt jemand herein (zum Spritzen - was auch immer da konkret gespritzt wird) und beginnt, sich lautstark mit Zornesfalte zu unterhalten. Auch das geht mir maßlos auf den Keks.
Zuppelmann zuppelt, sieht auf die Uhr, sagt laut: "Puuuh." Ich hasse, dass er neben mir sitzt. Mittlerweile sind viele Plätze frei, dennoch sitzt er direkt neben mir. Er zieht die Socken hoch, streift die Hose glatt, verschränkt die Arme, dreht die Daumen. Dann zuppelt er eine Falte in die Hose, die er sofort wieder glatt zieht.
Spritze wird aufgerufen. Mutter Diktat beschreibt fein aufgeschlüsselt ihre Wochenpläne, inklusive welchen Bus sie wohin nehmen wird. Kind Diktat hört aufmerksam zu und stellt Rückfragen.
Rohrschach kehrt zurück, gewährt mir einen letzten Blick auf seinen Hals, zieht eine Jacke an und geht.
Zuppelmann heißt Herr Waack. Er ist schon halb beim Doktor, ehe dieser seinen Namen vollständig aufgerufen hat, obwohl er nur eine Silbe hat. Ich atme auf.
Spritze ist zurück und beginnt, auf ihrem Handy herumzuspielen.
Mit Ablegen meines Mantels habe ich mir einen Becher Wasser besorgt. Ich erwähne das erst jetzt, weil er jetzt erst trinkbar ist. Er steht seit einer halben Stunde auf der Heizung. An der Außenseite kondensiert immer noch Luftfeuchtigkeit.
Rohrschachs Muttermal ähnelte dem Zentralnervensystem. Ein großes Oval (Hirn) mit ein wenig Gekräusel an der Unterseite (Kleinhirn) und einem langen, seitlich abgehenden Faden - dem Rückenmark. Auch eine Qualle käme in Frage, oder ein Klecks zerlaufender Farbe.
Zornesfalte wird aufgerufen. Jemand anders nimmt eine Jacke weg - wie sich herausstellt, verdeckte sie einen Sitzplatz, den ich übersehen haben muss. Doch noch jemand mehr hier.
Ein Kind kommt herein, legt die Sachen ab und setzt sich. Ein paar Minuten später - es schreibt auf seinem Handy - kommt die Schwester und fragt, ob es hier nur warte.
"Ja, erstmal schreib ich aber noch mit meiner Mutter."
"Das kannst du auch gleich weiter machen, aber gehst du dann auch in Behandlung?"
"Ja, danach."
"Und wie heißt du?"
"Julian."
"Und dein Familienname?"
Julian sagt es ihr. Im Warteraum verbreitet sich ein Lächeln. Das Kind bemerkt nichts Ungewöhnliches an diesem Austausch.
Der Mann, der sich hinter der Jacke verborgen hatte, erklärt der Schwester, sie hätte ihn einfach sitzen lassen sollen. "Ach", wehrt die Schwester ab. "Macht man so." - "Ja, naja. Nee."
Ein paar weitere Minuten später informiert die Schwester Julian, dass er erst in vier Wochen seine Spritze holen kann. Julian stört das nicht. Er möchte dennoch ein wenig bleiben und warten - wohl, bis die Mutter heimkommt.
Die Schwestern reden untereinander. Ein Buchtitel fällt nicht mehr ein. "Neue Schmerzen oder so".
"Die neuen Leiden des jungen Werther", verkündet Spritze hilfreich.
"Gibt's davon nicht zwei?"
"Ja, das eine ist neuer."
Julians Mutter ist der Meinung, er könne jetzt heimkommen, meint Julian und macht sich auf den Heimweg. Auch der Mann, der ihn gern hätte sitzen lassen, steht bald darauf auf und geht. Auf was er gewartet hat, ist unklar.
Die Pflanze am Fenster hat lila, halbdurchscheinende Blätter. Wo sie nicht durchscheinend sind, zeichnet sich eine grüne Struktur ab. Es sieht gar nicht mal schlecht aus.
Außer Spritze, Diktat und mir ist niemand mehr hier. Jedenfalls bis die Tür sich öffnet und zwei neue Leute hereinkommen. Dankenswerterweise wollen sie nur einen Termin - halt, nein. Eine davon will einen Termin, ein anderer hat bereits einen, nimmt Platz und schnürt seine türkisen Turnschuhe neu. Diktatkind heißt Pierre-Ryan. Ich denke schlecht von seiner Mutter.
Noch jemand fragt nach einem Termin. Hat sich schon zwei Monate gequält, kann nicht früh, und noch einen Monat warten erst recht nicht. Ist selbständig und kann sich auf keinen Fall freinehmen. Die Terminsuche ist ein Tauziehen.
Ich trinke den dritten Becher Eiswasser, aber was langsam fehlt, ist Nikotin. Die Praxis müsste bald schließen. Ich bin mit Turnschuh allein.
Auf dem Gelände, auf dem früher das Meli stand, wird bald gebaut, erzählt Spritze. Die Bäume und Hecken, die dort gefällt und entsorgt wurden, sollten anscheinden gar nicht weg. Jemand hat den Plan falschherum gehalten. Nun wird auf einer Seite neu gepflanzt.
"Und der Augensammler, soll ich dir ausrichten, sammelt wirklich Augen."
Schwester: "Ein bisschen eklig, aber spannend. Nee, ist schon cool."
Spritze ist jetzt endgültig weg. Turnschuh wird aufgerufen. Ich bin allein.
Ich hab einen verzögerten Erregungsabfall im linken Innenohr. Oder eine verringerte Erregbarkeit. Oder beides. Ich habe nicht genau zugehört, aber ich bin schon mal heilfroh, dass man etwas gefunden hat. Schwindel, das ist so ein Wischiwaschisymptom, da fühlt man sich ohnehin wie ein Simulant. Die Tabletten muss ich komplett selbst bezahlen (22,85€), aber in ein, zwei Wochen sollte alles wieder beim Alten sein. Dann darf ich nochmal zur Kontrolle. Man darf auf das Wartezimmer gespannt sein.