28.04.2013Debugging
in moonlight i'm coding
- no, cut out the moon!
my windows are darkened
and it sets really soon
there's no way of knowing
if I'll be here still
when it's again rising
up over my sill
at nighttime i'm coding
in my darkened room
a sense of foreboding
then suddenly: boom
I look on in terror
as i wrathful spy
a horrible error
which eluded my eye
though finally i know
the trouble's root
all my workarounds now
are suddenly moot
i have spent so much time
looking where i went wrong
for me now to find out
i was right all along
so i start deleting
my helper functions
the no longer needed
logical junctions
hello world - it's working
i shout out in glee
and i curse thee, bracket
for going missing on me
24.03.2013Ei s, Schnee, Rauhreif
16.03.2013Ein zeitgemäßeres Bildungssystem
Denke ich so an meine Schulzeit zurück, fallen mir eine Reihe Kritikpunkte wieder ein, die über ein pubertäres "Schule ist doof" hinausgehen und die ich heute noch unterschreiben könnte. Sie bilden für mich die Grundlage auf der ich nach anderen Lösungen suche, da ich als Lehrerkind eigentlich immer versucht habe, Schule zu mögen. Es ist mir nicht gelungen. Das liegt zum Teil natürlich auch an spezifischen Umständen (Lehrern, Mitschülern, oh, was sind denn das für Hormone plötzlich?), aber zum Teil auch an externen Gegebenheiten, die ich als Design-Fehler betrachte.
1. Der Unterricht beginnt viel zu früh.
Dass dies an erster Stelle kommt, hat mehr mit meiner Veranlagung als schlafgestörte Nachteule zu tun als mit der Priorität, die ich für andere sehe. Fakt bleibt aber, dass Schlafforscher, Neurologen, Ärzte schon lange gleichermaßen über den frühen Unterrichtsbeginn klagen. Zwar gibt es im Schlafrhythmus individuelle Unterschiede und kann man sich auf frühe Aufstehzeiten üblicherweise durch schlafhygienische Maßnahmen (das heißt wirklich so und bedeutet: früh ins Bett gehen, Tagesablauf strukturieren, sich tagsüber bewegen und Einschlaf- und Aufstehroutinen entwickeln) einstellen, ein dauerhaft dem Biorhythmus nicht entsprechender Tagesablauf macht aber krank, unkonzentriert und führt nicht gerade dazu, dass Schüler gern zur Schule gehen. Mit Eintritt in die Pubertät verändern sich auch die Schlafgewohnheiten - dass Jugendliche überproportional Langschläfer sind, ist hinreichend belegt (oft bildet sich das wieder zurück - "wächst sich" also "raus" - allerdings nicht vor Ende des Schulalters).
2. Klassenverbände.
Klassenverbände sollen eine Bezugsgruppe für Schüler bilden, das sehe ich ein. Schule ist auch kein Einzelunterricht, schon allein daher müssen Schüler in Gruppen zusammengefasst werden. Das Konzept des starren, unveränderlichen Klassenverbands ist darauf ausgelegt, Schüler in Gruppendynamikprozesse einzubinden zur Entwicklung von Sozialkompetenzen. Wie gut das funktioniert, zeigen Mobbingstatistiken. Um ein tatsächliches "Wir"-Gefühl zu erzeugen, das alle einbezieht, reicht das Setzen in einen Klassenraum und die Ausrichtung einer Klassenfahrt alle paar Jahre jedoch nicht aus. Man wird blind in eine Gruppe geworfen mit Menschen, die zufällig aus der gleichen Gegend im gleichen Alter sind - ich finde das keine ausreichende Begründung, um der Klasse als solche so viel Bedeutung beizumessen, wie es getan wird. An Grundschulen setzen sich jahrgangsübergreifende Klassen langsam durch - der starre, unantastbare Klassenverband an weiterführenden Schulen bleibt jedoch bestehen. Das muss nicht heißen, dass dauerhafte Jahrgangsmischung der Weg zu Weltfrieden und ewigem Glück ist, sondern kann auch durch Mischformen und Kursunterricht erreicht werden.
3. "Und wozu muss ich das jetzt wissen?"
Bildungsinhalte sind oft stark entkoppelt von ihrer reellen Anwendung. Oft wird auf blindes Auswendiglernen statt auf die Vermittlung von Fähigkeiten und das Verständnis von Konzepten gesetzt. Ich erinnere mich gut an einen Biologietest zu Genetik, in dem Punkte für Fragen wie "In welchem Jahr trat Darwin seine Seereise an, wie hieß das Schiff und auf welchen Inseln machte er seine Beobachtungen an Finken?" vergeben wurden. Solche Informationen sagen nichts über meinen Wissensstand, sondern ausschließlich über meine Gedächtnisleistung. Darüber hinaus haben sie auch nichts mit Biologie zu tun und sind jederzeit nachschlagbar. Natürlich können die Lehrpläne erst einmal nichts für die Testfragen meiner damaligen Biologielehrerin, dieses Verhalten ist aber kein Einzelfall. Übervolle Lehrpläne fordern zum Einpauken auf, nicht zum Verstehen.
4. "Das brauch ich doch nie wieder!"
Allgemeinbildung ist eine schöne Sache - wenn es jedoch um Spezialwissen geht, das kaum jemand über die Schule hinaus behält, geschweige denn anwendet, sollte überlegt werden, es aus dem Pflichtlehrplan zu streichen. Mehr Auswahl in Lerninhalten, eine generell flexiblere Gestaltung von Schule könnte verhindern, dass sich zukünftige Übersetzer mit Integralrechnungen und zukünftige Ingenieure mit einer zweiten Fremdsprache herumschlagen müssen. Diese Dinge gehören unbedingt in das Angebot der Schulen - aber sind sie wirklich unerlässlich für jeden, der ein Studium anstrebt, egal in welchem Bereich? Natürlich sollte eine solide Grundbildung vermittelt werden, in jeder Schulform und in jedem Fach, aber Lehrpläne schießen über dieses Ziel oft hinaus (nicht nur durch die Inhalte, auch durch das Ausmaß, in dem sie in die Tiefe gehen), mit dem Ergebnis, dass ein Großteil des vermittelten Wissens schnellstmöglich wieder vergessen wird, um Platz für die nächsten Inhalte zu schaffen.
5. Mangelnde Flexibilität
Viele Ansätze zur Integration von "Problemkindern", seien es sozial schwache, lernbehinderte, körperbehinderte, Schulverweigerer, Hochbegabte, Nichtmuttersprachler oder Teilleistungsschwache, gehen davon aus, dass es sich (jeweils) um Einzelfälle handele, die in eine "normale" Klasse zu integrieren sind. Nicht nur sammeln sich Sonderfälle jeglicher Art in sozialen Brennpunkten, auch die allgemeine Verteilung von Kindern mit besonderen Bedürfnisse wird unterschätzt. Zählen wir die oben aufgeführten Gruppen mal zusammen, kommen wir zum Schluss, dass mit so ziemlich jedem Kind irgend etwas nicht stimmt, und unter den Gruppen gibt es auch noch Überlappungen. Die "normalen" Schüler, die die "schwierigen" ausgleichen sollen, gibt es nicht, jedenfalls nicht in einer beliebig belastbaren unerschöpflichen Menge. Das System selbst muss in der Lage sein, auf Andersartigkeit einzugehen, anstatt zu hoffen, dass der Lehrer und Klassenverband das Kind schon irgendwie ins übliche Muster gepresst bekommen.
Die Lösung: Vollverkursung
Genug gejammert: auf die meisten dieser Schwierigkeiten gibt es eine einfache Antwort: die Einführung eines Kurssystems. Was ist das? Jedes Fach in jeder Klassenstufe stellt einen Kurs dar. Es gibt Pflicht- und Wahlkurse, und nicht alle Schüler einer Klasse müssen die gleichen Kurse besuchen. An gymnasialen Oberstufen wird dieses System zum Teil verwendet, in anderen Schulformen gibt es, wenn's hochkommt, vielleicht ein Wahlpflichtfach, bei dem man eine Auswahl hat.
Warum wäre das gut? Da wären zunächst einmal die Klassenverbände: Schüler lernen schneller und besser in homogenen, entwickeln aber besseres Sozialverhalten in heterogenen Gruppen. Eine Verkursung eröffnet hier Möglichkeiten, beides zu bieten: Besonders in den Kernfächern könnten die Schüler nach Leistungsniveau eingeteilt werden, sind aber in anderen und für Klassenveranstaltungen in ihrer heterogenen Gruppe eingebunden. Schüler mit Teilleistungsschwächen oder Teilbegabungen können ihr Potential ausschöpfen, ohne auf allen anderen Gebieten unter- oder überfordert zu werden. Auf besondere Bedürfnisse kann schon strukturell eingegangen werden - die Schule muss nicht mehr ausschließlich um den Sonderbedarf "drumherumarbeiten". Das kann Lehrern sehr viel Arbeit ersparen und wirkt der Ausgrenzung von Einzelnen entgegen. Ein Kurssystem könnte den Weg freimachen für flexiblen, individuellen Unterricht bei gleichbleibendem Aufwand für Lehrer und Verwaltung.
Bislang lässt sich der Unterricht für Einzelne nur durch Wechsel der Schulform, Sitzenbleiben, Überspringen von Klassen oder durch Nachhilfeunterricht anpassen. Angemessene Förderung gibt es nur in Spezialklassen oder außerschulischen Extrastunden. Das kann sich ändern.
Ich will nun nicht zu viel auf einmal fordern, aber die Möglichkeiten gehen noch weiter: ein langsamer Lerner könnte im Jahr weniger Kurse besuchen und durch Verlängerung der Gesamtschulzeit trotzdem einen guten Bildungsabschluss erreichen. Das ist auch für Schüler wichtig, die besonderen außerschulischen Stress haben, z.B. durch Leistungssport - das CJD in Rostock z.B. verfügt über einen Sportlerförderzweig, der in neun Jahren statt acht zum Abitur führt und den Sportlern dadurch ermöglicht, ihren Trainingsplan einzuhalten und zu Wettbewerben zu fahren, ohne auf einen guten Bildungsabschluss verzichten zu müssen.
Auch der zweite Bildungsweg könnte dadurch mit deutlich weniger Hürden verbunden sein - es wäre möglich, Leistungen in einzelnen Fächern nachzuholen und so seinen gewünschten Bildungsabschluss zu erlangen, ohne Jahre der Wiederholung auf sich zu nehmen.
In meiner Wunschvorstellung ist jeder belegte Kurs in jedem Jahr oder Semester eine Art Abschluss - Arbeitgeber könnten statt nach Abitur zum Beispiel nach bestimmten Kursen in bestimmten Fächern fragen, einzelne Fächer hätten ebenso bestimmte Zugangsvorraussetzungen (Physik 8 erfordert Mathematik 5, oder Ähnliches). Die jeweiligen Inhalte könnte man auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten vermitteln - es könnte einen Physik-8-Kurs halbjährig oder ganzjährig geben, so dass ein schneller Lerner seinen Bildungsabschluss früher erreichen könnte, ohne dass die erforderlichen Stunden seine gesamte Freizeit verschlingen. Das ist allerdings Zukunftsmusik und muss an anderer Stelle erläutert werden.
Wichtig ist: Es sollte möglich sein, unterschiedliche Fächer auf unterschiedlichen Leistungsniveaus zu belegen. Denn dass unser dreigliedriges Schulsystem in der Praxis stärker nach sozialer Herkunft als nach den Fähigkeiten der Schüler sortiert, ist leider umfassend untersucht und bekannt. Auch wandern sehr viel mehr Schüler von einer höheren Schulform in eine niedrigere als umgekehrt. Wenn man die Schwellen für die Anpassung von Lernzielen auf den einzelnen Schüler senkt, kann man hier vielleicht entgegenwirken. Selbst das Wiederholen ganzer Klassen würden unnötig, ohne dass Schüler in einzelnen Fächern komplett den Anschluss verlieren, weil zu viele Grundlagen fehlen.07.03.2013Ockhams Rasiermesser, oder: Von Absichten und ihrer Seltenheit
Ich bin der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass ich das Zentrum des von mir wahrgenommenen Universums bilde. Ich denke auch, das ist weder eitel noch arrogant, sondern normal. Nun geht das aber vermutlich nur mir so. Ich kann nicht von anderen erwarten, mich im Zentrum ihres Lebens zu sehen, denn da steht üblicherweise schon jemand anderes - sie selbst. Das bedeutet aber auch, dass vermutlich niemand so viel über mich und Dinge, die mich betreffen, nachdenkt wie ich. Daher unterstelle ich üblicherweise Unabsichtlichkeit.
Wenn beim Pizzaessen in einer Gruppe kein Stück meiner Lieblingspizza übrig bleibt, weil ich auf Toilette war, als die Pizza ankam, dann könnte ich annehmen, dass mir die anderen nichts gönnen, oder mich ärgern wollten, oder IHR SCHWEINE IHR WISST DOCH DASS ICH THUNFISCH MAG! Tatsächlich aber ist die wahrscheinlichste Antwort Unabsichtlichkeit. Vermutlich hat niemand an meine speziellen Vorlieben gedacht. Noch wahrscheinlicher: mein Lieblingsessen ist für niemanden außer mich sonderlich relevant - selbst wenn ich Präferenzen erwähnt habe, wird sich kaum jemand daran erinnern. Vielleicht lag die Thunfischpizza obenauf.
Insgesamt gehe ich glücklicher durchs Leben, wenn ich pauschal erst einmal Unabsichtlichkeit unterstelle, weil ich mich dann nur über doofe Pizza und nicht über wahrgenommenes Mobbing ärgern muss, unabhängig davon, was tatsächlich die Gründe für meine Thunfischlosigkeit waren. Auch ist unterstellte Unabsichtlichkeit eine gute Denkübung: man sollte von jeder Sache, die wert ist, betrachtet zu werden, nach mehreren Erklärungsmöglichkeiten suchen. Das gilt nicht nur für Pizza.
Verschwörungstheorien haben gegenüber anderen Theorien (eher: Hypothesen) einige Alleinstellungsmerkmale. Zum einen werden Gegenbeweise als Argumente *für* die Theorie ausgelegt (dass die Presse nicht von Aliens unter uns berichtet, ist ein Beweis dafür, dass die Aliens die Presse kontrollieren, und nicht etwa dafür, dass es sie nicht gibt (die Aliens, nicht die Presse)). Weiterhin ist in der Regel jemand schuld (die CIA! Die Juden! Die Bilderberg-Konferenz!) - das bedient vor allem Wunschdenken und macht es angenehm, daran zu glauben. Und zu guter Letzt gibt eine gute Verschwörungstheorie eine einleuchtende, in sich geschlossene Erklärung, die haarsträubend unnötig kompliziert ist.
Ockhams Rasiermesser (auch: Prinzip der Parsimonie) besagt, dass die einfachste Erklärung (die, die mit den wenigsten Variablen und Grundannahmen auskommt) die wahrscheinlichere ist. Unterstellen wir grundsätzlich Unabsichtlichkeit, lassen sich die meisten Vorgänge mit einem einfachen "das ist von ganz allein so passiert" erklären - wobei "von ganz allein" nicht mit "zufällig" gleichzusetzen ist. Denn dass die Thunfischpizza zuerst alle ist, muss kein Zufall sein - möglicherweise ist es die einzige, die nicht angebrannt ist, oder es handelt sich bei Thunfisch allgemein um einen überlegenen Geschmack (meine bevorzugte Hypothese). Aber äußerst unwahrscheinlich ist, dass sich Menschen, die ich immerhin genug mag, um Pizza mit ihnen zu teilen, sich gegen mich verschworen haben, oder dass einzelne Fadenzieher im Hintergrund mein Pizzageschick lenken.
Wer glaubt, dass es einen Schuldigen braucht, um gesellschaftliche Phänomene zu erklären, spricht nicht nur den Individuen, die an ihnen beteiligt sind, ihre Agenda ab, sondern ist vor allem eins: unkreativ. Alles, was getan wird, ergibt für den, der es tut, in dem Augenblick, in dem es getan wird, einen Sinn. Dieser Sinn bezieht sich aber auf die handelnde Person, nicht auf den Außenstehenden, auf den das Handeln einen Einfluss hat. Ergo: Wer meine Thunfischpizza isst, denkt dabei an seinen eigenen Appetit, und nicht an meinen. Die Unfähigkeit, über den Tellerrand (höhö) zu blicken, lässt den Betrachter zu falschen Schlüssen gelangen, wenn er die Wichtigkeit, die er für sich selbst hat, auch anderen unterstellt.
Verschwörungstheorien beinhalten fast ausnahmslos unterstellte Absicht. Dahinter verbergen sich in der Regel mehrere Gedanken. Zum einen: "Da steckt noch mehr dahinter!" - der Unglaube, dass individuelle, voneinander unabhängige Prozesse zu einem Ergebnis geführt haben. Zum anderen: "Das richtet sich gegen mich/uns alle/jemanden!" - der Gedanke, dass man selbst eine Rolle spielt im Entscheidungsprozess anderer.
Ich komme zu dem Schluss, dass Wahnideen sich (unter anderem) auf Eitelkeit stützen. Wenn jemand erklärt, dass einzelne Menschen viel Mühe auf sich genommen haben, um andere Menschen zu beeinflussen, Dinge zu tun, die wiederum anderen Menschen schaden, obwohl es genug Gründe gibt, aus denen diese anderen Menschen diese Dinge ohnehin hätten tun wollen, dann möchte ich ihn gerne in den Arm nehmen und sagen: "Du bist wichtig. Ich denke an dich." Vielleicht hilft's ja.
09.01.2013Wenn das Arbeitsamt dein Freund wäre
Die Bundesagentur für Arbeit ist nicht nur eine Institution. Wer sich in ihre Fänge begibt, baut unweigerlich eine Beziehung mit ihr auf, repräsentiert durch Sachbearbeiter, Empfangsdamen, Callcentermitarbeiter und namenlose Briefe. Jede Beziehung ist dabei einzigartig, die Person des repräsentativen Anprechpartners wird verdrängt und durch Das Arbeitsamt ersetzt, ein Wesen, das weder atmet noch lebt, und doch ebenso tief in unsere Psyche dringt, wie es ein Liebhaber tut.
Was also, wenn das Arbeitsamt dein Freund wäre?
Dein Job hat gerade mit dir Schluss gemacht. Oder du mit ihm. Vielleicht habt ihr euch friedlich auseinandergelebt. Vielleicht hat er dich benutzt, verletzt, missbraucht, vielleicht auch versorgt, befriedigt und ausgefüllt. Ob du ihm hinterhertrauerst oder froh bist, dass du ihn los bist, ist erst einmal belanglos: er ist nicht mehr da. Und du, auf der Suche nach einem neuen, begegnest Dem Arbeitsamt, in der Disco vielleicht oder beim Einkaufen.
Er ist nicht besonders hübsch, und weil du weißt, dass er den jungen Dingern schon im Schulalter hinterhersteigt, willst du gewiss nicht bei ihm bleiben. Aber er stellt dich seinen Freunden vor, bringt dich in gute Gesellschaft, fängt dich auf und stützt dich, jetzt, wo du alleine dastehst. (Er weiß, was du brauchst.)
Er lädt dich zu sich ein. Er hört dir zu. Er will alles über dich wissen. Er sagt dir, dass du etwas ganz Besonderes bist. Und wenn nicht: er wird dir helfen. Er kann dich besser machen. Du wirst jemanden finden, der dich zu schätzen weiß. Wenn du niemanden kennst, der dich interessiert, gibt er dir Nummern von Leuten, die du dir ansehen solltest. (Er weiß, was du brauchst.)
Er ist nicht eifersüchtig auf die anderen. Er fragt nach ihnen, googelt sogar ihren Namen. Meist weiß er auch genau, warum du gerade wieder eine Abfuhr bekommen hat. Er ist ehrlich mit dir, und sagt dir darum, dass es deine Schuld ist. Und dass du es besser machen kannst. Er wird es dir beibringen, und er wird dir sagen, wer richtig für dich ist. (Er weiß, was du brauchst.)
Er gibt dir Flirt-Hilfe, schickt dich zum Farb- und Typ-Berater und stellt dir neue potentielle Partner vor. Er erwartet vollständige Berichte über jeden One-Night-Stand und jedes Date, und er telefoniert dir misstrauisch hinterher, ob du auch dagewesen bist. Er verlangt regelmäßige Treffen. Er verweigert dir jede Hilfe, wenn du einmal nicht da warst oder ihm nicht alles gesagt hast. Er kann dir doch nicht helfen, wenn du ihm nicht vertraust. (Er weiß, was du brauchst.)
Weil du deine Sache nicht gut genug machst, sagt er dir, mit wem du dich zu treffen hast, wann du es tust und was du mit ihm machen sollst. Er lässt dich in Ruhe, solange du bei anderen bist, sofern er davon weiß. Du wagst dir gar nicht vorzustellen, was er machen würde, wenn du ihn betrügst.
Das Arbeitsamt ist nicht dein Freund.
Es ist dein Zuhälter.
04.05.2012Wir gehen jetzt miteinander
Aufgefallen sind sie mir schon 2009. Oh, diese schönen Augen, Plakate meine ich, die machen sich schon schick. Rebellisch, engagiert, noch neu genug, um geheimnisvoll zu sein, trotz aller Transparenz und Offenheit. Ein Hauch von Abenteuer, Revolution, alles anders machen, nur nicht so sein wie die anderen. Eine neue Pubertät winkt am politischen Horizont. Nach kurzem Liebäugeln aus der Ferne folgten ein paar One-Night-Stands an der Wahlurne; nichts Festes, keine Nummern austauschen, leidenschaftslos und zweckgebunden - 'Besser als nichts' und 'Hoffentlich bereu' ich das nicht, wenn ich wieder nüchtern bin', eben so, wie man mit rebellischen Fremden umgeht.
Aber dann habe ich über den letzten Bundesparteitag gelesen. So viele kluge Sachen haben sie beschlossen, so viele Dinge, die ich auch schon so lange sagen wollte. Es ist, als fände man in einem Country-Club noch jemanden, der auf Post-Industrial-Indie-Punk steht, der ungestüme Weltverbesserer entpuppt sich als erfahrener Planer und der Schönling in der Lederjacke kann lesen. Ich war hin und weg. Bis ich den ersten Schritt machte, dauerte es eine Weile, schließlich bin ich schüchtern und noch unerfahren. Aber ein paar Monate und einen Mitgliedsantrag später habe ich ein Date.
Auf dem ersten Stammtisch bin ich zurückhaltend und nervös, höre zu und beobachte, aber sie reden vor allem über Organisatorisches, Kleinigkeiten: Dinge, in die ich nicht eingebunden bin. Es geht nicht um das große Ganze und ich habe nicht das Gefühl, sie besser kennengelernt zu haben. Immerhin, gut sehen sie aus, unwohl fühle ich mich bei ihnen nicht, und ein paar nette, kurze Gespräche finden auch schon statt. Unverhofft daher die so kurzfristige Einladung zum nächsten Bundesparteitag, zwei Wochen später. Ein wenig schnell, ja, aber so leicht verschreckt man mich nicht. Irgendwann wird man ja mal zusammen in den Urlaub fahren dürfen.
Es geht nach Neumünster. Die folgenden zwei Tage reden wir ununterbrochen, schauen uns lange in die Augen, und auf einmal ist es, als hätten wir uns schon immer gekannt: wir tauschen peinliche Anekdoten, furzen voreinander und lernen unsere besten wie auch schlechten Seiten kennen, gründlich, methodisch, in hitziger Debatte und im so herausgerutschten Nebensatz. Und wir verlieren das Bedürfnis, uns zu beeindrucken.
Nach dieser gemeinsamen Reise habe ich das Gefühl, alles zu wissen, was ich unbedingt wissen muss, um eine informierte, ehrliche Wahl treffen zu können; ich weiß, ob sie meine Freunde mögen, wie sie meine persönlichen Ziele und Werte beurteilen, was wir miteinander alles machen können und was nicht, ich kenne ihre Pläne für die Zukunft, ihre Bedürfnisse und Forderungen, und ich weiß, wie sie nach zu wenig Schlaf an einem Regentag aussehen. Ja, das ging sehr schnell, und ja, das ist gut so.
Mutti, Vati, das sind die Piraten.
Wir gehen jetzt miteinander.
19.04.2011Gemischte Ruinen
17.01.2011Nächtliches Marburg
01.01.2011Winterlicher Stadthafen
25.12.2010Nächtliches Rostock im Schnee
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