Das Klaus

Gesammelte Werke

09.01.2013

Wenn das Arbeitsamt dein Freund wäre

Die Bundesagentur für Arbeit ist nicht nur eine Institution. Wer sich in ihre Fänge begibt, baut unweigerlich eine Beziehung mit ihr auf, repräsentiert durch Sachbearbeiter, Empfangsdamen, Callcentermitarbeiter und namenlose Briefe. Jede Beziehung ist dabei einzigartig, die Person des repräsentativen Anprechpartners wird verdrängt und durch Das Arbeitsamt ersetzt, ein Wesen, das weder atmet noch lebt, und doch ebenso tief in unsere Psyche dringt, wie es ein Liebhaber tut.
Was also, wenn das Arbeitsamt dein Freund wäre?

Dein Job hat gerade mit dir Schluss gemacht. Oder du mit ihm. Vielleicht habt ihr euch friedlich auseinandergelebt. Vielleicht hat er dich benutzt, verletzt, missbraucht, vielleicht auch versorgt, befriedigt und ausgefüllt. Ob du ihm hinterhertrauerst oder froh bist, dass du ihn los bist, ist erst einmal belanglos: er ist nicht mehr da. Und du, auf der Suche nach einem neuen, begegnest Dem Arbeitsamt, in der Disco vielleicht oder beim Einkaufen.

Er ist nicht besonders hübsch, und weil du weißt, dass er den jungen Dingern schon im Schulalter hinterhersteigt, willst du gewiss nicht bei ihm bleiben. Aber er stellt dich seinen Freunden vor, bringt dich in gute Gesellschaft, fängt dich auf und stützt dich, jetzt, wo du alleine dastehst. (Er weiß, was du brauchst.)

Er lädt dich zu sich ein. Er hört dir zu. Er will alles über dich wissen. Er sagt dir, dass du etwas ganz Besonderes bist. Und wenn nicht: er wird dir helfen. Er kann dich besser machen. Du wirst jemanden finden, der dich zu schätzen weiß. Wenn du niemanden kennst, der dich interessiert, gibt er dir Nummern von Leuten, die du dir ansehen solltest. (Er weiß, was du brauchst.)

Er ist nicht eifersüchtig auf die anderen. Er fragt nach ihnen, googelt sogar ihren Namen. Meist weiß er auch genau, warum du gerade wieder eine Abfuhr bekommen hat. Er ist ehrlich mit dir, und sagt dir darum, dass es deine Schuld ist. Und dass du es besser machen kannst. Er wird es dir beibringen, und er wird dir sagen, wer richtig für dich ist. (Er weiß, was du brauchst.)

Er gibt dir Flirt-Hilfe, schickt dich zum Farb- und Typ-Berater und stellt dir neue potentielle Partner vor. Er erwartet vollständige Berichte über jeden One-Night-Stand und jedes Date, und er telefoniert dir misstrauisch hinterher, ob du auch dagewesen bist. Er verlangt regelmäßige Treffen. Er verweigert dir jede Hilfe, wenn du einmal nicht da warst oder ihm nicht alles gesagt hast. Er kann dir doch nicht helfen, wenn du ihm nicht vertraust. (Er weiß, was du brauchst.)

Weil du deine Sache nicht gut genug machst, sagt er dir, mit wem du dich zu treffen hast, wann du es tust und was du mit ihm machen sollst. Er lässt dich in Ruhe, solange du bei anderen bist, sofern er davon weiß. Du wagst dir gar nicht vorzustellen, was er machen würde, wenn du ihn betrügst.

Das Arbeitsamt ist nicht dein Freund.
Es ist dein Zuhälter.
04.05.2012

Wir gehen jetzt miteinander

Aufgefallen sind sie mir schon 2009. Oh, diese schönen Augen, Plakate meine ich, die machen sich schon schick. Rebellisch, engagiert, noch neu genug, um geheimnisvoll zu sein, trotz aller Transparenz und Offenheit. Ein Hauch von Abenteuer, Revolution, alles anders machen, nur nicht so sein wie die anderen. Eine neue Pubertät winkt am politischen Horizont. Nach kurzem Liebäugeln aus der Ferne folgten ein paar One-Night-Stands an der Wahlurne; nichts Festes, keine Nummern austauschen, leidenschaftslos und zweckgebunden - 'Besser als nichts' und 'Hoffentlich bereu' ich das nicht, wenn ich wieder nüchtern bin', eben so, wie man mit rebellischen Fremden umgeht.

Aber dann habe ich über den letzten Bundesparteitag gelesen. So viele kluge Sachen haben sie beschlossen, so viele Dinge, die ich auch schon so lange sagen wollte. Es ist, als fände man in einem Country-Club noch jemanden, der auf Post-Industrial-Indie-Punk steht, der ungestüme Weltverbesserer entpuppt sich als erfahrener Planer und der Schönling in der Lederjacke kann lesen. Ich war hin und weg. Bis ich den ersten Schritt machte, dauerte es eine Weile, schließlich bin ich schüchtern und noch unerfahren. Aber ein paar Monate und einen Mitgliedsantrag später habe ich ein Date.

Auf dem ersten Stammtisch bin ich zurückhaltend und nervös, höre zu und beobachte, aber sie reden vor allem über Organisatorisches, Kleinigkeiten: Dinge, in die ich nicht eingebunden bin. Es geht nicht um das große Ganze und ich habe nicht das Gefühl, sie besser kennengelernt zu haben. Immerhin, gut sehen sie aus, unwohl fühle ich mich bei ihnen nicht, und ein paar nette, kurze Gespräche finden auch schon statt. Unverhofft daher die so kurzfristige Einladung zum nächsten Bundesparteitag, zwei Wochen später. Ein wenig schnell, ja, aber so leicht verschreckt man mich nicht. Irgendwann wird man ja mal zusammen in den Urlaub fahren dürfen.

Es geht nach Neumünster. Die folgenden zwei Tage reden wir ununterbrochen, schauen uns lange in die Augen, und auf einmal ist es, als hätten wir uns schon immer gekannt: wir tauschen peinliche Anekdoten, furzen voreinander und lernen unsere besten wie auch schlechten Seiten kennen, gründlich, methodisch, in hitziger Debatte und im so herausgerutschten Nebensatz. Und wir verlieren das Bedürfnis, uns zu beeindrucken.

Nach dieser gemeinsamen Reise habe ich das Gefühl, alles zu wissen, was ich unbedingt wissen muss, um eine informierte, ehrliche Wahl treffen zu können; ich weiß, ob sie meine Freunde mögen, wie sie meine persönlichen Ziele und Werte beurteilen, was wir miteinander alles machen können und was nicht, ich kenne ihre Pläne für die Zukunft, ihre Bedürfnisse und Forderungen, und ich weiß, wie sie nach zu wenig Schlaf an einem Regentag aussehen. Ja, das ging sehr schnell, und ja, das ist gut so.

Mutti, Vati, das sind die Piraten.

Wir gehen jetzt miteinander.
15.08.2010

Putzen.

Immer wenn bei uns eine Katze stirbt, haben wir bald darauf eine neue. Das hat nichts mit Reinkarnation zu tun, sondern mit Gewohnheit: wir haben immer drei. Immer. Solange es drei sind, fällt es nicht so auf, wenn eine fehlt. Manchmal kommt die Neue aus der Nachbarschaft, manchmal über eine Zeitungsannonce. Diesmal kommt sie aus dem Tierheim.
Man sollte meinen, das sei eine gute Sache, doch ich fühle mich zurückversetzt in Zeiten, in denen ich dem Greuel persönlich gegenüberstand. Ich werde diese Katze nicht so lieben können wie ihre Vorgängerin. Zu deutlich sehe ich alles noch vor mir.
Ich habe mal im Tierheim gearbeitet. Ehrenamtlich. Eher aus Langeweile als aus Gutherzigkeit, aber das muss ja keiner wissen. Ich war daher auch nicht enttäuscht, dass zum Streicheln süßer Tierbabies eher wenig Zeit bleibt, sofern überhaupt süße Tierbabies vorhanden sind. Die meisten Tiere sind alt, kränklich und 'brauchen einen Besitzer mit Hunde/Katzenerfahrung'. Das ist Tierheimsprache für bissig, eigensinnig, nicht oder schlecht erzogen, unsauber und laut. Als Katzenbesitzer mit Katzenerfahrung begann der Tag für mich in der Katzenquarantäne, wo die Neuzugänge sich aufhalten. Acht Käfige, jeder mit zwei Türen und einer Trennwand in der Mitte zum Abschiebern, das heißt: Wand hineinschieben, auf der Seite ohne Katze saubermachen, Wand raus, Katze auf die andere Seite locken, andere Seite säubern. So jedenfalls die Theorie, tatsächlich ist die Quarantäne notorisch überfüllt und die Trennwände bleiben dauerhaft an ihrem Platz: eine Katze links, eine rechts. Jungtiere teilen sich eine Seite zu zweit. Eine Box besteht aus nüchternem Stahl, bietet etwa einen halben Quadratmeter Platz und ist eingerichtet mit einer kleinen Toilette, einem Futter- und Wassernapf sowie einem kleinen Stück Teppich, der auf den ausgelegten Zeitungen liegt. Zum Ausstrecken ist nur dann Platz, wenn der Kopf im Napf liegt und man sich elegant um das Klo herumrollt. Einige Tiere benutzen die Toilette als Körbchen und sehen dementsprechend aus. Stress führt auch bei Tieren gelegentlich zu einer nervösen Verdauung, wer hier putzt, sollte sich schnell an Kacke, Kotze und Pisse gewöhnen, und die landet nicht immer da, wo sie hinsoll. Für alle sechzehn Tiere bleibt mit anschließendem Fegen und Wischen des Raumes nur eine Stunde, und wehe, wer länger braucht: der Letzte macht den Abwasch. Das ist zu Hause auch so und führt zu hektischem Essen, doch während ich schrubbe, sind andere im Krankenstall, bei den Kleintieren oder Hunden zugange, und es sind nicht nur Futternäpfe, die in den Abwasch gelangen. Die Eimer, in denen Katzenstreu, verschmähtes Futter und Ausscheidungen gesammelt werden, sehen nach dem Entleeren kaum besser aus als vorher, und jede zehnte Katzentoilette wandert ebenso ins Wasser, weil bestimmte Dinge daran kleben. Einer meiner Schützlinge hat Durchfall, den ich als Durchflug bezeichnen möchte: es entbehrt jeder physikalischen wie physiologischen Grundlage, dass dieses Tier in der Lage ist, gegen die Decke zu kacken. Ich schrubbe zehn Minuten länger und schleiche anschließend schuldbewusst dem Wasserbecken entgegen. Die Spüle ist so groß wie eine Badewanne, etwa fünfzig Näpfe schwimmen darin, etwa zu gleichen Teilen von Hunden und Katzen. Auch sie werden nur bei Bedarf gereinigt, aber auch sie werden gelegentlich mit dem Klo verwechselt. Hinter mir stapeln sich die Katzenklos, zwei Transportkörbe (in den zehn Minuten, in denen man ihren Käfig reinigt, wollen sich manche auch dort noch verewigen) und die Eimer des Grauens.
Im Nachhinein kann ich bestätigen, dass alles, was einen nicht umbringt, stärker macht. Vor drei Wochen im Topf vergessene Bohnensuppe entsorge ich ohne Brechreiz, und unsere Menschentoilette zu säubern ist auch nicht schlimmer als ein normaler Menschenabwasch. Auch kann ich dem Kater seine Medikamente verabreichen, ohne mich zu verletzen, wenn er sich mal wieder eine Erkältung bei seinen Streifzügen im Hof eingefangen hat. Polly, unserer jüngst verstorbenen, legte ich den Tropf. Was ist schon eine Spritze, wenn man Bisswunden und Geschwüre versorgt hat?
Für die Neue würde ich jederzeit das Gleiche tun, obwohl auch sie mit Sicherheit diverse Ehrenamtliche mit ihren Körperflüssigkeiten in den Wahnsinn getrieben hat. Aber wir werden sie Greta nennen. Strafe muss sein.